Vorwort von Prof. Dr. Albert Stahel

Geopolitik als gemeinsame Wissenschaft von Geographie und Politikwissenschaft weist eine alte Tradition auf, die bis in die Antike zurückreicht. Im Jahre 1904 hat die Geopolitik durch die Heartland-Theorie des Briten Halford Mackinder (1861-1947) neue Impulse erhalten. Mit der Heartland-Theorie vertrat Mackinder die These, dass durch die Herrschaft über Eurasien die Kontrolle der Welt erreicht werden könnte. Das Zentrum Eurasiens beruhe auf Heartland und die Beherrschung von Heartland ermögliche die Herrschaft über Eurasien. Heartland entsprach schon damals dem Territorium des russischen Reichs. Die Heartland-Theorie muss vor allem vor dem Hintergrund der damals zwischen Großbritannien und Russland ausgetragenen Auseinandersetzung um die Kontrolle über Zentralasien beurteilt werden. Der britische Autor Kipling bezeichnete diese Auseinandersetzung später als The Great Game

 

Nach dem Zerfall der Sowjetunion hat der frühere Sicherheitsberater von US-Präsident Carter und strategische Vordenker Zbigniew Brzezinski die Heartland-Theorie wieder aufgegriffen. In seiner 1997 veröffentlichten Schrift The Grand Chessboard weist er auf die Bedeutung von Eurasien für die Weltherrschaft hin. Der eurasische Balkan - Zentralasien - dient wiederum als Drehpunkt für die Kontrolle des Kontinents. Entsprechend dem Untertitel seines Werks, American primacy and geostrategic Imperatives, ist die Schrift an die USA gerichtet. Die Weltmacht USA soll durch die Herrschaft über Zentralasien definitiv die Macht über Eurasien und damit über die Welt erlangen.

 

Seither hat sich aber vieles verändert. Die Bush-Administration hat den unseligen Irakkrieg ausgelöst und die amerikanische Volkswirtschaft ist durch die Finanzkrise in ihrem Fundament erschüttert worden. Die USA sind heute beinahe vom finanziellen und damit politischen Goodwill ihres größten Gläubigers, der Volksrepublik China, abhängig. Im Sinne eines Aufrufs an die politische Elite der USA zu einem Neubeginn hat Brzezinski eine neue Schrift mit dem Titel Second Chance publiziert. Die Führung der USA soll noch einmal, allerdings mit Hilfe von Verhandlungen mit China und Russland, den Versuch unternehmen, sich als friedensstiftende Weltmacht zu etablieren. In Anbetracht des desolaten Zustandes der amerikanischen Volkswirtschaft dürfte dieses Ziel kaum mehr verwirklicht werden können. 

 

Nach wie vor fokussieren sich die politischen und wirtschaftlichen Elite der Schweiz, durch Angst gelähmt, auf den American Way of Life und übersehen dabei, dass die USA nicht nur eine untergehende Weltmacht sind, sondern dass die Schweiz eine geopolitische Bedeutung aufweist, ja in einem gewissen Sinne sogar ein geopolitisches Schwergewicht inmitten Europa ist. Dabei sind nicht nur die Transversalen, wie Straßen- und Eisenbahnverbindungen sowie Stromleitungen von Bedeutung. Gerade für Deutschland ist die Schweiz das Wasserschloss im eigentlichen Sinne. Ohne das Wasser des Oberrheins und des Bodensees würde der Großraum Stuttgart verdursten.

 

 

Es ist Frau Dr. Virginia Bischof hoch anzurechnen, dass sie mit der vorliegenden Arbeit die geopolitische Bedeutung der Schweiz in ihrer Geschichte, der Gegenwart und der Zukunft sachlich analysiert. Es ist höchste Zeit, dass ein solches Buch erscheint. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich unsere politischen Eliten der geopolitischen Bedeutung der Schweiz wieder bewusst werden und entsprechend aus einer Position von Stärke und Selbstbewusstsein heraus die anstehenden Probleme mit dem großen Nachbarn politisch und diplomatisch lösen. Dazu gehören z.B. die Steuerfragen und die Lärmimissionen der Anflüge auf den Flughafen Kloten. Zwischen souveränen Staaten gibt es keine Freundschaften - diese existieren nur unter Menschen.