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Teil 1: Essay zur Globalisierung vs. Regionalisierung

Um die Globalisierung von der Regionalisierung abzugrenzen, wollen wir zuerst einen kleinen Ausflug in die Vergangenheit unternehmen. Dann geht es darum, die Hauptmerkmale der aktuellen Globalisierung aus der geopolitischen Perspektive festzuhalten. Schliesslich wollen wir versuchen die Faktoren, die zu einer Umkehrung der Globalisierung führen können, zu identifizieren und zu werten.

 

Rückblick

In Europa war am Ursprung des politischen Handelns der Staat, oder genau die griechische Polis. Der Athener Philosoph Platon dachte, dass der Staat ein natürliches Phänomen sei, und zwar nicht aufgrund eines Sozialtriebes, sondern aufgrund der Schwäche des Einzelnen. Diese Idee ist 2500 Jahre alt und aus meiner Sicht immer noch treffend. Der Handel ist allerdings noch älter als die Politik und er dürfte hingegen aufgrund eines Sozialtriebes und aus menschlicher Stärke heraus entstanden sein. Man begann damit, eigens erstellte Waren gegen andere begehrte Waren zu tauschen. Dann wurde das Geld erfunden. Der lokale Handel zog immer grössere Kreise und wuchs. Als die Staaten Grenzen legten und sie zu schützen begannen, wurde aus dem lokalen Handel Fernhandel.

 

Bereits zur Zeit des Römischen Reiches bestand zwischen Rom und seinen Provinzen ein reger Austausch von Kapital, Waren und Menschen, sodass man bereits von Regionalisierung sprechen kann. Diese erfasste auch Lebensbereiche ausserhalb der Wirtschaft wie Kultur und Sprache. So waren das Latein und die römischen Bade- oder Esskultur über das ganze Reich verbreitet. Diese Regionalisierung begann abzubröckeln, nachdem das Reich in einem Weströmischen- und einem Oströmischen Reich zweigeteilt wurde und ging definitiv unter, als die grossen Völkerwanderungen im 5. Jh. nicht mehr zurückgehalten werden konnten. Folglich wurde der Fernhandel für längere Zeit eingestellt, die Mobilität nahm ab und die Welt wurde für jeden viel kleiner und überschaubar. Drei Jahrhunderte lang herrschte mehr oder weniger komplette Anarchie unter den kleinen Kriegsherren, die Europa beherrschten. Die einzige Autorität, die sich halten konnte, war die Kirche. Ab Beginn des 9. Jh. erhielt sie jedoch zunehmende Konkurrenz von erfolgreichen Kriegsherren, die unterdessen auf ihren Gebieten Königreiche und Fürstentümer errichtet hatten. 

 

Wenn man Globalisierung als erdumspannende Interaktion zwischen Menschen, Gesellschaften, Institutionen und Staaten versteht, dann setze die erste Phase mit den Grossen Entdeckungen, als die Erde gänzlich umschifft werden konnte, bereits ab dem 15. Jh. ein. Mit der westeuropäischen Kolonisation von überseeischen Territorien in Afrika, Asien und Lateinamerika zwischen dem 16. und 18. Jh. kam die zweite Phase der Globalisierung in Gang. Mit dem Zeitalter des Imperialismus zwischen 1870 und 1945, dem sich Westeuropa, die USA und Japan hingaben, erhielt die Globalisierung ihre dritte Phase. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund des entstehenden Ost-West-Konflikts unterbrochen. 

 

Nach dem Sieg über den gemeinsamen Feind, das nationalsozialistische Deutsche Reich, 1945 durch die Kriegsallianz Grossbritanniens, Frankreichs, der USA und der UdSSR brach der schon vor dem Krieg schwelende Konflikt zwischen der östlichen, sowjetisch-kommunistischen und der westlichen, demokratischen Weltanschauung in aller Heftigkeit wieder auf. Es folgte ein geopolitisches dauerhaftes Kräftemessen zwischen beiden Kontrahenten und deren jeweiligen Alliierten. Doch der wahre Grund für die Auseinandersetzung zwischen Ost und West lag weniger in der politischen Ideologie der Kontrahenten als in ihrer jeweiligen geostrategischen Lage

 

Die angelsächsische Geopolitik, die mit Halford MacKinder (1861-1947), Alfred Mahan (1840-1914) oder Nicholas Spykman (1893-1943) ab Mitte des 19. Jh. ihren Anfang nahm, sieht die Insellage des amerikanischen Kontinents als Vorteil gegenüber den Landmächten Russland und China. Diese Ansicht, so revolutionär sie auch klingen mag, ist eigentlich nichts Neues. Schon zur Zeit des Peloponnesischen Krieges, also im 5. Jh. v. Chr., sahen die Athener ihre Seemacht als Vorteil gegenüber der Landmacht Spartas und nutzten ihre Vorherrschaft, um sich im östlichen Mittelmeer der Güter zu bemächtigen, die sie im kargen Boden um Athen nicht anbauen konnten.  

 

MacKinder und Spykman haben also 2400 Jahre alte Prinzipien wieder aktualisiert und auf Amerika angewendet. Sie haben jedoch unterschiedliche Herangehensweisen, auf die ich hier nicht eingehen werde. Doch beide haben das Herz der Welt (Heartland) unmissverständlich in Russland lokalisiert und beide tendieren darauf, das Heartland politisch zu neutralisieren, indem die USA die Pufferstaaten rund um Russland einspannen, politisch destabilisieren und schliesslich dazu bringen, das Lager zu wechseln. Warum der Aufwand? Wie die Athener damals suchen die USA den uneingeschränkten Zugang zu den unzähligen Bodenschätzen und Rohstoffen, die auf und unter dem russischen Boden liegen. Dabei sollen die westeuropäischen Staaten die USA unterstützen und für ihre Mühe Anteil an der Beute erhalten.  

 

Die Theorien MacKinders und Spykmans sind keine Hirngespinste. Sie sind beide seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zum Einsatz gekommen - manchmal offiziell, manchmal under cover. So haben U.S.-Präsident Harry S. Truman und seine Nachfolger die Eindämmungspolitik der Sowjetunion offiziell als „Containment policy“ verkündet und durchgesetzt. Als sicherheitspolitische Berater von U.S.-Präsident Jimmy Carter hat Zbigniew Brzezinski eine ähnliche Doktrin, die sich weitgehend auf MacKinder gestützt hat, eingesetzt. Eine Doktrin, die auch während den sogenannten Farbrevolutionen in der Ukraine und in Georgien zur Anwendung gekommen ist. 

 

Die drei ersten Globalisierungsphasen verliefen selbstverständlich weder linear noch konstant. Krieg ist bekanntlich kein guter Zustand, um Handel zu treiben - ausser wenn es sich um Waffen handelt. So erfuhr die Globalisierung während der zahlreichen Kriegsperioden, die Europa immer wieder heimsuchten, jeweils einen Dämpfer von bedeutender Tragweite, sodass jede Globalisierungsphase durch eine Regionalisierungsphase abgelöst wurde. Dabei formierten sich die verschiedenen Regionen nach kulturellen, religiösen oder geografischen Merkmalen. Ein Zurück zum Staat gab es ab dem 15. Jh. nicht mehr, ausser in wenigen Ausnahmefällen von geografisch isolierten oder Entwicklungsstaaten. Auch heute ist ein Zurück zum Staat sehr unwahrscheinlich, es sei denn, ein Ereignis von grösstem Ausmass - etwa ein Weltkrieg oder eine Pandemie - würde jegliche Bewegungsfreiheit dauerhaft lähmen.  

 

Hauptmerkmale der aktuellen Globalisierung

Während des Kalten Krieges war die Welt in zwei, allenfalls drei Regionen unterteilt: der Westen, der Osten und die Blockfreien Staaten. Bis Ende der 1980er-Jahren haben die USA die Wirtschaft klar dominiert und damit auch die Flüsse der westlichen Regionalisierung. Ab 1989 zeichnete sich die grosse Wende ab. Die vierte Phase der Globalisierung setzte bald ein und wurde durch drei Faktoren begünstigt: 

 

1. das Ende des bipolaren Ost-West-Konflikts;

2. den Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation 2001;

3. den technologischen Fortschritt im Bereich Kommunikation und Transport und dessen weltweiten Anwendung.

 

Und dies mit dem gleichzeitigen Bekennen Chinas und Russlands zum Kapitalismus, obwohl man in diesen beiden Fällen eher von Staatskapitalismus sprechen sollte. 

 

Mit der Implosion der Sowjetunion haben viele amerikanische Politiker, Experten und Unternehmen gehofft, der Zugang zu den natürlichen Ressourcen Russlands würde sich nun viel einfacher gestalten, viel günstiger werden und die USA würden die Kapital-, Waren- und Kommunikationsströme weltweit kontrollieren. Diese Hoffnung bestand tatsächlich bis zur Jahrtausendwende. Dann hat sie sich in Luft aufgelöst, und dies aus drei Gründen: 

 

1. Nach einer ersten schwankenden Phase unter dem ersten russischen Präsidenten Boris Jelzin hat sein Nachfolger Wladimir Putin die Kontrolle über die natürlichen Ressourcen des Landes weitgehend zurückgewonnen

2. Die Verteufelung Russlands durch die westliche Politik und Presse hat ein neues Klima des Misstrauens zwischen dem Westen und Russland auf den Plan gerufen, was schliesslich Moskau „in die Arme“ Pekings vertrieben hat. 

3. Asiens beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung, gekoppelt mit einer zahlreichen, immer besser ausgebildeten und arbeitssamen Bevölkerung, haben eine Verschiebung des geopolitischen Schwergewichts von Westen nach Osten herbeigeführt, wobei sich China als klarer asiatischer Leader mit überregionalen Ansprüchen profiliert.

 

Noch darf man allerdings die USA nicht abschreiben. Sie haben noch immer die grössten und schlagkräftigsten Streitkräfte der Welt; dank dem Dollar kontrollieren sie die grössten Kapitalströme der Finanzwelt und sie sind weiterhin in manchen Schlüsselindustrien führend (Kommunikation, Computertechnologie). Doch die Konkurrenz schläft nicht. China holt in allen Bereichen auf. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie die USA ihre Vorherrschaft auf die Dauer sichern sollen, wenn sie China und Russland als Gegner sehen. 

 

Ausblick

Wir haben oben gesehen, dass die Globalisierung seit über 600 Jahren Einzug gehalten hat, dass sie jedoch von grösseren Regionalisierungsphasen unterbrochen wurde aufgrund grösserer Konflikte und Kriege. Nun, ein Ende der vierten Globalisierungsphase ist aufgrund der Coronapandemie und der darauffolgenden Metakrise durchaus denkbar. 

 

Wäre eine Regionalisierung des Handels ein Übel? Nicht unbedingt. Etwas mehr nationale oder regionale Selbständigkeit, kürzere Handelswege, weniger Verkehr, das käme doch allen und dem Klima zugute. Doch wo würde die Trennlinie zwischen den Regionen verlaufen? Es ist verfrüht, diese Frage abschliessend zu beantworten, doch eine Trennlinie könnte sehr wahrscheinlich durch die USA und China verlaufen. Denn die Machtverhältnisse zwischen See- und Landmacht, also zwischen den USA und China, werden sich allmählich zugunsten Letzteren verschieben - zuerst demografisch, dann wirtschaftlich und mittelfristig auch militärisch. Weshalb?

 

Angesichts des riesigen Potenzials auf dem eurasischen Kontinent könnte China bald auf den U.S.-amerikanischen Markt verzichten. Denn China hat den ganzen eurasischen Kontinent mit seiner „Road-and-Belt-Initiative“ überspannt und die grossen Seewege über den Atlantik und den Pazifik für sich somit mehr oder weniger überflüssig gemacht. Auf dem eurasischen Kontinent lebt die Hälfte der Weltbevölkerung. Zählt man Afrika noch dazu, sind es drei Viertel der Menschheit. Wozu soll sich denn Peking mit 350 Millionen Amerikanern abmühen? Fragt sich nur, auf welche Seite sich Europa und Russland schlagen werden, was schliesslich auf die Anzahl der Regionen einen Hinweis geben könnte. 

 

Fazit

Für die Gründungsväter der angelsächsischen Geopolitik MacKinder und Spykman und für die heutigen USA wäre die Überholung der Seemacht durch eine Landmacht ein gewaltiger Rückschlag. Nimmt man Trumps schlechtes Management der Coronakrise noch hinzu, könnte das amerikanische Modell plötzlich Schiffbruch erleiden und nicht mehr gefragt sein. 

 

Doch es ist nicht gesagt, dass die USA so einfach das Heft aus der Hand geben werden. Und es steht auch nirgends geschrieben, dass Peking bereit wäre, die Weltherrschaft an sich zu reissen. Manche Experten sehen das Verhältnis zwischen den USA und China in einen Krieg ausarten. Dazu werde ich mich zu einem späteren Zeitpunkt in einem anderen Beitrag äussern. Vorläufig kommt es im Wesentlichen darauf an, ob sich künftig die USA verstärkt auf ihre Insellage und Isolationismus konzentrieren und China das Ruder mehr oder weniger überlassen werden - was mir allerdings wenig plausibel erscheint. Oder ob die USA gestützt auf einer neuen Geopolitik das Ruder wieder an sich reissen und einen Grund finden, um gegenüber China die gleiche Containment-Politik anzuwenden wie damals gegen die Sowjetunion. 

 

Gegenstand der Spaltung könnte die Klimaerwärmung sein, indem sich die USA neuerdings als Leader in der Bekämpfung der CO2-Emissionen profilieren, eigene Standards erlassen und alle anderen Staaten, die sich dagegen stemmen mit Ächtung, Sanktionen, Embargos und dergleichen bestraft würden. Das klingt vielleicht etwas abstrus, doch Donald Trump, sollte er wiedergewählt werden, ist durchaus imstande solche abrupte Kehrtwendungen durchzusetzen und falls er abgewählt wird, sein Nachfolger - ob Republikaner oder Demokrat - wird sich freuen, ein neues Steckpferd zu haben. 

 

Virginia Bischof Knutti©2020

 

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