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Graubünden vs. Corona - Die Zeit danach

Das Wirtschaftsforum Graubünden hat am 9. April 2020 eine kurze wirtschaftliche Analyse veröffentlicht: Corona-Eindämmung vs. Volkswirtschaft Graubünden und darin vier Szenarien zur Weiterentwicklung der Lage erarbeitet. Mit einer raschen Erholung innert Wochenfrist rechnet das Wirtschaftsforum Graubünden nicht. Worauf soll sich die Bündner Wirtschaft einstellen? Worauf darf sie hoffen? Ausdauer und Entschiedenheit sind gefragt, aber auch unkonventionelle Ideen und Durchsetzungsvermögen. 

 

In diesem Essay werden die vier Szenarien vom Wirtschaftsforum Graubünden zusammengefasst, dann wird kurz die allgemeine Lage geschildert und schliesslich wird ein Bogen zu meinem am 6. November 2019 erschienenen Buch Der Kanton Graubünden - Eine geopolitische Analyse gespannt und zwei mögliche Konsequenzen für den Kanton abgeleitet. 

 

Vier Entwicklungsszenarien der Coronakrise

Das Wirtschaftsforum Graubünden sieht 4 mögliche Entwicklungsszenarien vor:

 

1. V-Szenario: heftiger Einbruch März bis Mai, schnelle Normalisierung, normales Sommer/Herbstgeschäft ab Juli

2. U-Szenario: heftiger Einbruch März-Juni, Erholungsphase Juli bis Dezember, ab Januar 2021 vollständige Erholung

3. L-Szenario: Lockdown bis im Herbst, Wintergeschäft läuft langsam an

4. W-Szenario: zweite Epidemiewelle im Herbst, Wintergeschäft 2020/2021 ist gefährdet. (1)

 

Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Artikels kann keines der vier oben erwähnten Szenarien eindeutig ausgeschlossen werden. Solange die Gefahr einer zweiten Welle besteht und die Grenzen weltweit nicht durchlässig sind, ist eine genaue Prognose nicht machbar. 

 

Allgemeine Lage

Vor der Coronakrise erwirtschaftete der Kanton Graubünden jährlich ein kantonales Bruttoinlandprodukt in der Höhe von rund 14 Mrd. Franken. Das kantonale BIP-Wachstum fiel im letzten vorliegenden Beobachtungsjahr 2017 leicht negativ aus, die Bündner Volkswirtschaft wuchs auch im langjährigen Vergleich weniger stark als das nationale Mittel. Graubünden trug etwa 2,1 % zur nationalen Wirtschaftsleistung bei. Mit einem BIP pro Einwohner in Höhe von knapp 71'000 Franken lag Graubünden im breiten Mittelfeld der Kantone. (2)

 

GRimpuls hat am 29. Mai 2020 in der Reihe Graubünden in Zahlen einen Kurzbericht „Konjunktur“ publiziert. Die Folgen der Coronakrise sind für die Bündner Wirtschaft erwartungsgemäss schwerwiegend. Es ist die Rede von steigender Arbeitslosigkeit, sinkenden Warenexporten, Einbrüchen im Tourismus- und Gastronomiebereich und von pessimistischen Aussichten in fast allen Branchen. Genauer kann Folgendes gesagt werden: 

 

- Arbeitslosigkeit: Per Ende April zählt Graubünden 3’772 Arbeitslose, das entspricht einer Zunahme von 119,7 % gegenüber dem Vorjahr; schweizweit zählt man 153’413 Arbeitslose, was eine Zunahme von 43% gegenüber dem Vorjahr bedeutet. 

- Volkswirtschaft: Per Ende März ist das kantonale Bruttoinlandprodukt um 3,1 % geschrumpft (gesamtschweizerisches BIP: -2,5 %). Die Prognosen für das Jahr 2021 zeigen ein Wachstum von 3,7 % für Graubünden und von 4,3 % für die Schweiz. 

- Warenexporte: Die Bündner Exporte lagen im 1. Quartal um 6,8 % tiefer als im Vorjahr. 

- Logiernächte: Das 1. Quartal schliesst gesamthaft mit 12,9 % weniger Logiernächte als im Vorjahr. (3)

 

Mit mehr Zahlen möchte ich nicht um mich werfen. Wichtiger scheint mir die Tendenz zu erkennen: Wenn die gesamte Schweizer Wirtschaft wächst, dann wächst die Wirtschaft Graubündens weniger stark als der Rest des Landes. Wenn die gesamte Schweizer Wirtschaft schrumpft, dann schrumpft die Wirtschaft Graubündens stärker als der Rest der Schweiz. Das besagen die Zahlen von 2017 bis heute, aber auch die davor. Dieser andauernde Missstand liegt an einem Mix aus geografisch-topografischen und strukturellen Bedingungen, der sich nur mit grossen Investitionen umkehren lässt. Diese Bedingungen sind sichtbar als schlechte Verkehrsanschlüsse innerhalb und ausserhalb des Kantons, als eine schmale und zu wenig diversifizierte Wirtschaftsbasis, als fehlende Ausbildungsstätten auf Universitätsniveau, was schliesslich zu einer andauernden Abwanderung führt. Das war vor der Coronakrise so und das wird sich nach der Coronakrise auch kaum ändern. 

 

Zehn Erkenntnisse aus der geopolitischen Lage Graubündens

Man mag es seltsam finden, dass sich ein Schweizer Kanton anmasst, eine Geopolitik zu haben, wenn sie doch eher den globalen Key Players vorbehalten scheint. Keine Angst, Graubünden hat keine solche Politik. Doch wenn es eine hätte, wäre es naturgemäss eine Geopolitik der Berge. Und die tendiert in der Regel dazu, dass der Kanton so eigenständig wie möglich politisch handelt und seine natürlichen Ressourcen weitgehend autonom bewirtschaftet. Doch das gelingt weltweit den wenigsten gebirgigen Staaten bzw. Teilstaaten - auch Graubünden nicht -, weil sie das notwendige Kapital, die Infrastruktur, das Personal und das Know-how nicht haben, um eine diversifizierte Wirtschaft zu betreiben. Stattdessen werden sie stiefmütterlich von der politischen Zentrale und den benachbarten Agglomerationen behandelt, ja sogar bevormundet. So ergeht es auch Graubünden. 

 

Meiner neuen Wahlheimat Graubünden habe ich nach meiner Ankunft in Chur vor zwei Jahren ein Buch gewidmet: Der Kanton Graubünden - Eine geopolitische Analyse (4). Im Buch sind zehn Erkenntnisse aus meiner Analyse hervorgegangen, die ich hier zusammenfasse: 

 

1. Geografische Lage und Topografie: Der Verlust des Veltlin hat Graubünden zu einem mehrheitlich unbewohnbaren und unproduktiven Kanton schrumpfen lassen, dessen Bewirtschaftung höchste Ansprüche an Investitionen und Technologie stellt. Seine längste Grenze teilt der Kanton mit Italien - einem Land, das im europäischen Machtgefüge traditionell eher leider im Nachteil ist, um es diplomatisch auszudrücken. Obwohl Italien zu den Gründungsmitgliedern der EU zählt, in diesem Gremium nach wie vor ein Nettozahler ist, eine dynamische Wirtschaft beherbergt und kulturell ein Leuchtturm Europas darstellt, wird es im Vergleich zu Deutschland oder Frankreich unter seinem Wert wahrgenommen. Hier herrscht Ein krasses Nord-Süd-Gefälle, das auch Teile Graubündens erfasst. 

2. Dreisprachigkeit: Manche mögen in der Dreisprachigkeit lauter Hindernisse und übermässige administrativen Kosten sehen. Diese Annahme ist kurzsichtig und gründet auf reinen wirtschaftlichen Überlegungen. Denkt man darüber hinaus, erweist sich die Dreisprachigkeit für Graubünden als strategischer Vorteil. Vorausgesetzt, man steht dazu und setzt alle notwendigen Mitteln ein, um die Minderheitssprachen - Romanisch und Italienisch - aufzuwerten. Der Weg dazu führt meines Erachtens über die Gründung einer eigenen Universität, die neben einem hochwertigen Sprachenstudium auch innovative Studienrichtungen anbieten und somit die Wirtschaftsbasis des Kantons erweitern könnte.

3. Demografie: Graubündens Demografie ist schwach und alternd. Ohne eine Strategie, um die wirtschaftliche Attraktivität des Kantons zu steigern, seine Jugend zu behalten und Zuzügerinnen und Zuzüger anzuziehen, wird er nicht zuletzt wegen der Ökoligisierungswelle früher oder später grösstenteils zu einem einzigen Naturpark und/oder zu einem Ferienparadies für Touristen und Zweitwohnungsbesitzer verkommen. In beiden Fällen könnte ein solches Gebiet keine 200’000 Einwohner mehr beherbergen geschweige denn ernähren.  

4. Rivalität Zentrum-Peripherie: Als peripherer Kanton leidet Graubünden stark unter den herrschenden Machtansprüchen der Zentren, denen er ausgesetzt ist - Bern und dem Raum Bodensee- Zürcher Agglomeration. Aber auch innerhalb des Kantons stellen wir ein starkes Gefälle zwischen dem Zentrum - Chur - und der Bündner Peripherie fest. Umkehren kann man diese Machtverhältnisse nicht. Doch man kann sie ein Stück weit verschieben und neu gewichten, indem die wirtschaftliche Orientierung von Norden nach Süden, also vom Raum Bodensee-Zürcher Agglomeration nach Norditalien, und vom Churer Rheintal in die mittleren Zentren der Bündner Regionen, verlagert wird. Das würde gleichzeitig die Stellung Churs auf der Nord-Süd-Verkehrsachse stärken und gleichzeitig neue Perspektiven für das Engadin und die Südtäler eröffnen. 

5. Verkehrspolitik: Das geografische Zentrum des Kantons liegt nicht in Chur, sondern wie der Name es verrät, im Mittelbünden. Eine ideale Eisenbahnpolitik bestünde darin, dieses geografische Zentrum zu nutzen, um das Engadin und die Südtäler näher an das Zentrum Chur rücken zu lassen. Die Idee ist übrigens nicht neu. Schon zur Pionierzeit des Eisenbahnbaus am Ende des 19. Jh. wurde erwogen, den Eisenbahnknotenpunkt des Kantons in Thusis zu legen. Doch es setzte sich die Meinung durch, dass Chur besser - oder strategischer - dafür lag als Thusis. Diesen Standpunkt sollte man vielleicht überdenken, wenn der Kanton eine Eisenbahnpolitik haben soll, die das Engadin und die Südtäler besser berücksichtigt. Zudem besteht ein dringender Bedarf, das Engadin und die Südtäler in das europäische Eisenbahnkonzept einzugliedern.

6. Finanzressourcen: Graubünden täte gut daran, seine Abhängigkeit vom Bundesfinanzausgleich zu reduzieren, um mehr Entscheidungsfreiheit zu gewinnen und eine eigenständige Politik zu führen. Der Weg dazu führt über die Erweiterung der Wirtschaftsbasis. Wenn aufgrund eines Rückgewinns wirtschaftlicher Souveränität gegenüber Asien gewisse Güter wieder in der Schweiz produziert werden sollten, darf der Standort Graubünden nicht vergessen werden. 

7. Natürliche und kulturelle Ressourcen: Es ist richtig, Sorge zur Natur zu tragen, denn sie ist das Grundkapital Graubündens. Graubünden zählt im Bundesinventar einen Nationalpark, vier Naturparks und 16 Landschaften und Naturdenkmäler nationaler Bedeutung für eine Gesamtfläche von 132’579 ha. Das entspricht 18,6 % des Bündner Territoriums. Die Crux mit der Ökologisierung besteht darin, gleichzeitig Naturschutz und ein kritisches Mass an Wirtschaftsleben nebeneinander am Leben zu erhalten. Dieses Dilemma hat dazu geführt, dass die Kantone Tessin und Graubünden die Gründung eines zweiten Nationalparks an der Urne verworfen haben. Seitdem wird die Gründung von Naturparks bevorzugt. Schweizweit sind es bereits 18. Dem Netzwerk Schweizer Pärke zufolge liegt das Ziel zwischen 20 und 25. Naturparks lassen zwar etwas Wirtschaftsleben zu, ihr Hauptziel bleibt jedoch die Ökologisierung des Gebiets. Diesem Aktivismus gegenüber bleibt das Potenzial von Graubündens kulturellem Erbe mit wenigen Ausnahmen weitgehend unterbewertet und unerschlossen. Der Kanton arbeitet derzeit noch an einem Kulturförderungskonzept. Kreativwirtschaft ist in Graubünden so gut wie unbekannt, Kulturmanagement ebenso wenig. Dabei könnte Kulturmanagement ein Hauptfach der eigenen Universität werden. Nicht zu sprechen von einem Netz von Kulturhäusern, das, als gesellschaftliches Projekt konzipiert und verstreut über den ganzen Kanton, zur Stärkung der Identität, des Kulturlebens und der lokalen Wirtschaft beitragen könnte. 

8. Wasserbewirtschaftung: Die Möglichkeit, die Kontrolle über die eigene Ressource Wasser auszuüben, ist in Graubünden nicht gegeben, einerseits weil ein Teil der Wasserkraftwerke in ausserkantonalen Händen liegt, andererseits weil der Wasserzins von Bundesbern bestimmt wird. In Bezug auf die Wasserbewirtschaftung und Strompolitik wird künftig ein Seilziehen zwischen Bern und Brüssel die Machtverhältnisse prägen. Hier wäre Graubünden gut beraten, die Hoheit über das Wasser Bern zu überlassen, weil in der jetzigen Lage ein Gebirgskanton so gut wie keine Chance hat, sich gegenüber Bern bzw. Brüssel durchzusetzen. In Bezug auf den Energiebedarf hingegen dürfte Graubünden vermehrt auf Solarenergie setzen und somit etwas energetische Souveränität zurückgewinnen.

9. Entwicklung der EU: Das ist ein leidliches und äusserst komplexes Thema, das sich schwer auf einige einzige Kriterien reduzieren lässt. Ich wähle hier die Identitätsfrage: Eine Regionalisierung der EU basierend auf Sprachkriterien könnte Graubünden und die Schweiz im Allgemeinen in ihrer Grundzügen erschüttern. 

10. Globale Klimaerwärmung: Graubünden spürt deutlich den Trend zur Ökologisierung der Alpen. Es wird befürchtet, dass infolge der Klimaziele von Paris und den Auswirkungen der Coronakrise der Druck auf den Kanton zunimmt, diese Ökologisierung zu verstärken und das Wirtschaftsleben auf einige wenige  Inseln zu konzentrieren (Churer Rheintal, Davos, St. Moritz). 

 

Welche von diesen zehn Erkenntnissen gelten noch immer nach der Coronakrise? Alle, ausnahmslos - mehr denn je. Weshalb? 

 

Konsequenzen für Graubünden

Ich möchte für meine Schlussfolgerung auf die Militärstrategie zurückgreifen, weil in Krisenzeit diese Betrachtungsweise nunmal opportun ist. Im Wissen, dass ein direkter Vergleich nur bedingt machbar ist, stelle ich die Aussage in den Raum, dass im Kriegs- oder Krisenfall eine militärische Lagebeurteilung immer in der Ausarbeitung zweier feindlichen Möglichkeiten mündet: die gefährlichste und die wahrscheinlichste. 

 

Bis vor der Reform Armee XXI waren die Armeestäbe getrimmt, Mittel und Wege auf die gefährlichste feindliche Möglichkeit auszurichten bzw. einzusetzen. Mit Armee XXI - und die unvermeidlichen Budget- und Personalkürzungen - kam die Wende und die Armee richtete sich auf Verlangen der Politik - und in Anlehnung an die liberale Marktwirtschaft - auf die wahrscheinlichste feindliche Möglichkeit. Die Politik tat dasselbe - unisono. Mit dem Resultat, das wir während der Coronakrise festgestellt haben: Plötzlich mangelte es an strategischen - und nicht unbedingt systemrelevanten -  Gütern. Heute scheint sich die neue Armeeführung auf die altbewährte Methode zurückzubesinnen. Die Politik und die Wirtschaft wird sich dies infolge der Coronakrise vielleicht auch überlegen. 

 

Wie auch immer, auf Graubünden übertragen, würde man nicht mit feindlichen Absichten, sondern zwischen der wahrscheinlichsten und der gefährlichsten Entwicklung unterscheiden. Stark vereinfacht würde die Lagebeurteilung so ausfallen: 

 

- Die wahrscheinlichste Entwicklung: Der Bund verzichtet teilweise auf die Rückzahlung der 40 Milliarden Franken Unterstützung für die Wirtschaft, kann aber den Gebirgskantonen weniger entgegenkommen in Punkto Finanzausgleich. Es wird schweizweit ein moderates Wirtschaftswachstum angestrebt. Bund und Kanton würden sich mit Investitionen stark zurücknehmen, ausser im Churer Rheintal. Darunter würde Graubünden nach wie vor mehr leiden als der Schweizer Durchschnitt. Es würde länger brauchen, um sich zu erholen, und selbst wenn, dann würde es kaum das Niveau der übrigen Schweiz erreichen. Möglicherweise würden die Einkommenssteuern erhöht, was schliesslich zur vermehrten Abwanderung führen könnte.

- Die gefährlichste Entwicklung: Der Bund würde seine 40 Milliarden rasch zurückhaben wollen, die Einkommenssteuer erhöhen und strenge Massnahmen zur Neutralisierung der CO2-Emissionen einführen. Der Finanzausgleich zugunsten der Gebirgskantone würde weitgehend abgeschafft werden. Die Schweizer Wirtschaft würde sich weiter auf das Mittelland konzentrieren, diejenige der Berggebiete würde grösstenteils aufgegeben werden. In Graubünden würden ausserhalb des Churer Rheintals die Investitionen noch drastischer abnehmen. Die peripheren Regionen würden rasch ökologisiert werden. Wirtschaftlich aktiv bleiben würden lediglich das Churer Rheintal mit zwei Inseln - Davos und St. Moritz - und ein schmales Band entlang der wenigen Hauptverkehrsachsen dazwischen (A13, N28 und N29). Infolgedessen hätte der grösste Teil der Bevölkerung die Wahl, sich im Churer Rheintal zusammenzupferchen oder abzuwandern. Für die Bedürfnisse der übrig gebliebenen touristischen Wirtschaft genügte ein Bruchteil der aktuellen Bündner Bevölkerung. 

 

Nun, worauf sollen sich die Bündnerinnen und Bündner gefasst machen? Selbstverständlich ist die wahrscheinlichste Variante die „bequemste“. Doch all die Krisen, die sich seit der Jahrtausendwende mehren, haben uns gelehrt, dass Ereignisse plötzlich auftreten können, die kaum jemand auf dem Radar hatte. 

 

Die Lösung des Problems hätte die Bündner Regierung in beiden Fällen eigentlich schon: In ihrem Bericht zur Raumentwicklung und Raumordnung Graubünden 2018 (5) hat sie die Weichen für eine dezentrale Raumplanung gelegt und acht Handlungsräume definiert, deren jeweiliges Zentrum wirtschaftlich gestärkt werden sollte im Verhältnis zum Churer Rheintal. Das wäre schon ein Anfang, man müsste allerdings das Vorhaben nach der Coronakrise intensivieren und konsequent durchsetzen wollen. Bezüglich Eisenbahnanschlüsse hat die kantonale Regierung - womöglich auf Verlangen von Bundesbern - jedoch nur die Anbindung Chur-Zürich vor Augen und setzt die Priorität somit nach wie vor auf den Ballungsraum Bodensee-Zürcher Agglomeration. Das Engadin und die Südtäler werden leider links liegen gelassen.  

 

Bei beiden Entwicklungen teilt sich der Kanton in zwei zusammenhanglose Teile: einerseits ein kleines, wirtschaftlich dynamisches und bevorzugtes und andererseits ein grosses, infrastrukturschwaches und sich selbst überlassenes Gebiet. Das dies keine gute Entwicklung ist, liegt auf der Hand. Will man ihr entgegentreten, muss man geopolitisch denken und handeln. 

 

 

(1) Wirtschaftsforum Graubünden, Corona-Eindämmung vs. Volkswirtschaft Graubünden, 09.04.2020, https://www.wirtschaftsforum-gr.ch/uploads/files/bericht-corona_update_2020_05_14_web.pdf. 

(2) https://www.grimpuls.ch/zahlen_fakten/volkswirtschaft

(3) https://www.grimpuls.ch/zahlen_fakten/konjunktur

(4) Virginia Bischof Knutti, Der Kanton Graubünden - Eine geopolitische Analyse, Somedia Buchverlag, 2019, ISBN: 978-3-907095-11-9

(5) https://www.gr.ch/DE/institutionen/verwaltung/dvs/are/publikationen/Raumentwicklung%202018.pdf

 

 

Virginia Bischof Knutti©11.06.2020

 

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