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Das neue Gesicht der USA - Analyse einer demographischen Dynamik

Donald Trump hat die Präsidentenwahl 2020 verloren. Mit Joseph Biden sollen die USA wieder einen demokratischeren Glanz bekommen. 

Anhand von zwei Berichten des U.S. Census Bureau wird ersichtlich, welche demographischen Herausforderungen den USA bevorstehen und wie der politische Einfluss sich im Land verschiebt. Das kann verhängnisvolle Konsequenzen mit sich bringen - für die USA und den Rest der Welt. 

Grund genug, um sich auf die internen Angelegenheiten zu fokussieren, doch Biden zieht es nicht in Erwägung, die Funktion der USA als Weltleader zu verlieren oder aufzugeben.  Das schmälert die Erfolgsperspektiven für ein sozialgerechteres Amerika. 

 

Geografie und Bevölkerung

Die USA sind von Osten nach Westen in drei Hauptgebiete gegliedert: im Osten die atlantische Küstenebene mit dem Hochland der Appalachen, die zentrale Tiefebene mit dem Mississippi-Strom und seine Nebenflüssen und im Westen die Rocky Mountains mit der pazifischen Küstenebene. Diese Ost-West Gliederung wird durch ein grob definiertes klimatisches Muster überlagert, wobei die nördliche Hälfte einen ausgeprägten kontinentalen und die südliche bereits einen subtropischen Charakter aufweisen.

 

Die zum Teil rauen klimatischen Bedingungen, die anfängliche Schwäche der Besiedlung, die von den Ureinwohnern und dann von den Yankees ausgeht, haben eine sehr diskontinuierliche Besetzung des Gebietes begünstigt. Daher die „Belt“- Struktur der Besiedlung, die drei grosse Bevölkerungsgruppen erkennen lässt, die trotz der Einwanderung und der Angleichung der Lebensumstände, heute noch bestehen und das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben prägen: 

 

- Die sogenannten WASP (Weisse, Angelsachsen, Protestanten) im Nordosten fühlen sich anders - polizeilicher, intellektueller, den ursprünglichen demokratischen Werten stärker verpflichtet. Bis vor drei Jahrzehnten waren sie sich sicher, dass ihre menschlichen, finanziellen und industriellen Ressourcen ihnen die Überlegenheit oder sogar die Führungsrolle gegenüber dem Rest der Nation sichern würde. 

- Vom Westen zu sein bedeutet heute nicht mehr das Gleiche wie zur Zeit der Pioniere und des Goldfiebers, aber die Auseinandersetzungen um die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen - oder deren Erhaltung - bleiben ein zentrales Anliegen dieses Landesteils. 

- Der Sezessionskrieg konnte verhindern, dass im Süden spezifische soziale Verhaltensweisen und politische Lebensstile auftreten. 

 

Das Kräfteverhältnis zwischen diesen drei grossen Regionalgruppen hat sich infolge der Zuwanderung und der industriellen Krise verändert, wobei sich die Amerikanerinnen und Amerikaner der südwestlichen Peripherie des Landes (des sogenannten Sun Belt) denen des „Alten Nordosten“ (des sogenannten Rust Belt) gegenüberstehen. Die Frage ist: Hat diese Gegenüberstellung eine oder mehrere soziologischen Grundlagen (Kultur, Rasse, Religion, soziale Schichtung)? Ist das der Fall, dann stehen die USA möglicherweise vor grossen internen Verwerfungen. 

 

Allgemeine Bevölkerungsentwicklung

Der Bericht des U.S. Census Bureau (1) „Demographic Turning Points for the United States: Population Projections for 2020 to 2060“ (2) befasst sich mit der demographischen Entwicklung der USA und liefert Analysen bezüglich Alter, Rasse und ethnischer Zusammensetzung der Bevölkerung zwischen 2020 und 2060.

Er kommt zur Erkenntnis, dass das Jahr 2030 einen Meilenstein in der Entwicklung der US- Bevölkerung darstellt, und zwar aus drei Gründen: Die US-Bevölkerung wird voraussichtlich bis 2060 um 25,2 % zunehmen und die 400-Millionenmarke knacken. Gleichzeitig ist eine Alterung der Bevölkerung und eine Verlangsamung des Bevölkerungszuwachses festzustellen, wie die folgende Tabelle zeigt. Schliesslich basiert der Bevölkerungszuwachs fortan auf die Zuwanderung, und nicht mehr auf den natürlichen Zuwachs. Zusammenfassend, die Demografie der USA bekommt allmählich europäische Züge. 

 

Population by Age Group: Projections 2020 to 2060 in millions  (Auszug)

 

Characteristics             2020          2060          Change 2020-2060 (in %)

______________________________________________________________________

 

Total Population          332.6         404.5                          25.2

Under 18 years              74.0           80.1                           8.8

18 to 44 years             119.2         132.7                          14.4

45 to 64 years               83.4           97.0                          15.1

65 years and over          56.1           94.7                          92.3

85 and over                     6.7           19.0                        198.1

100 and over                   0.1             0.6                        618.3

          

Quelle: U.S. Census Bureau

 

Ethnische Zusammensetzung 

Das U.S. Census Bureau führt in zehn Jahren Abstand eine Volkszählung durch, wobei die Rasse, im Gegensatz zur EU oder Europa, eines der Analysenkriterien darstellt.  

Da die U.S.-Bevölkerung altert und in den kommenden Jahrzehnten langsamer wächst, entwickeln sich die USA zu einer rassisch-ethnischen pluralistischen Gesellschaft. Das ist zwar kein neues Muster, aber die Tendenz verstärkt sich zunehmend. So werden im Jahr 2060 32 % der U.S.-Bevölkerung  einer anderen Rasse als der Weissen angehören. Dennoch wird erwartet, dass die Non-Hispanic White die einzige grosse Rasse für die nächsten 40 Jahre bleiben wird. Danach wird sie allerdings an Bedeutung verlieren. 

Die folgende Tabelle zeigt die ethnische Zusammensetzung der US.-Bevölkerung in Prozenten. Es wird auch ersichtlich, dass bis 2060 alle ethnischen Gruppen wachsen werden, mit Ausnahme der Non-Hispanic White, die um 9,5 % schrumpfen wird. Am stärksten wachsen wird die Gruppe der Two or more Races Gruppe (+ 197,8 %). 

 

Population by Race and Ethnicity, Projections 2030 to 2060 in % (Auszug) 

 

Characteristics                        2016          2030        2060         Change 2016-2020 

                                                (%)              (%)            (%)                        (%)

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Total Population                     100.0          100.0       100.0                    

White                                       76.9             74.2         68.0                    10.7

Non-Hispanic White                 61.3             55.8         44.3                   - 9.5

Black or African American        13.3             13.8         15.0                    41.1

American Indian                        

and Alaska Native                      1.3               1.3           1.4                    37.7

Asian                                         5.7               6.9           9.1                  101.0

Native Hawaiian

and Other Pacific Islander          0.2               0.3           0.3                    45.9

Two or more races                     2.6               3.6           6.2                  197.8

Hispanics                                 17.8             21.1         27.5                    93.5

 

Quelle: U.S. Census Bureau

 

Die Integration dieser Minderheiten ist schwierig und viele halten sie sogar für gescheitert. Tatsächlich hat die Minderheitenfrage das politische Leben in den USA seit jeher geprägt. Sie war die Ursache für den grossen Nord-Süd-Riss, als nach dem Kauf von Louisiana die Frage des Status der Black or African American in den neu gewonnenen Gebieten westlich des Mississippi sich stellte. Bis heute sind die Spuren des Segregationssystems (getrennt, aber gleichberechtigt), das südliche Politiker nach dem Sezessionskrieg eingeführt haben, noch immer feststellbar. 

 

Entwicklung der Zuwanderung

Die Frage der Zuwanderung ist von grosser Bedeutung, denn sie prägt die Aussenbeziehungen der USA, die nach wie vor weltweit das wichtigste Ziel von Emigranten sind. 

 

Die im Ausland geborene U.S.-Bevölkerung wird voraussichtlich von 44 Millionen Menschen im Jahr 2016 auf 69 Millionen im Jahr 2060 ansteigen, von etwa 14% auf 17% der Bevölkerung. Der frühere historische Höchstwert war 1890, als fast 15% der Bevölkerung im Ausland geboren waren.

 

Es wird erwartet, dass die einheimische Bevölkerung um durchschnittlich 1,3 Millionen Menschen pro Jahr wachsen wird, während 579'000 Personen, die im Ausland geboren sind, pro Jahr hinzukommen werden. 

 

Von den 44 Millionen im Ausland geborenen Menschen, die 2016 in den USA lebten, waren knapp die Hälfte Hispanics, was bezeugt, dass die Mehrheit der in den USA geborenen Ausländer aus Lateinamerika und der Karibik stammte. Etwa ein Viertel der im Ausland geborenen Bevölkerung im Jahr 2016 waren Asiaten, und ein knappes Fünftel war Non- Hispanic White Abstammung. 

 

Seit zehn Jahren jedoch ist eine Kehrtwende in der Herkunft der Migranten feststellbar: Die meisten Migranten, die vor 2000 in die USA einreisten, kamen aus lateinamerikanischen Ländern, gefolgt von asiatischen Ländern. Seit 2010 hat sich dieser Trend umgekehrt: Asien ersetzt Lateinamerika als die Region, die den grössten Anteil an Migranten in die USA entsendet.

 

Neue Bevölkerungsdynamiken und geopolitische Konsequenzen

Der Bericht des U.S. Census Bureau „Population Trends in Incorporated Places: 2000 to 2013“ (3) gibt Auskunft über die Verteilung der U.S.-Bevölkerung in sogenannten Incorporated Places in den Bundesstaaten. 

 

Fast zwei Drittel der Amerikaner leben in Incorporated Places (4), die in den USA gemeinhin als Städte bezeichnet werden. Da die Mehrheit der Bevölkerung des Landes in Städten lebt, stellen die Muster der Bevölkerungsentwicklung zwischen den Städten und die sie beeinflussenden sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen oft nationale Tendenzen dar.

 

Die folgende Tabelle gibt Auskunft über die Verteilung der Bevölkerung in den vier grossen Regionen zwischen 2000 und 2013. Während die Gesamtbevölkerung in den Incorporated Places im Durchschnitt um 12,3 % gewachsen ist, stieg die  Bevölkerungszahl im Süden und im Westen um 18,1 % bzw. 17,5 %. Gleichzeitig stieg die Bevölkerungszahl im Nordosten und im Mittleren Westen nur um 4,4 % bzw. 4,9 %.

 

Total Population and Population in Incorporated Places by Region: 2000 to 2013 (Auszug) 

 

Area                                 2000                     2013              Change (%)

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Total Population          281'421'906         316'745'538            12.3

Northeast                      53'494'378           55'943'073              4.4 

Midwest                        64'392'820           66'927'001               4.9

South                          100'236'820         118'838'453             18.1

West                              63'197'932          74'254'423             17.5

 

Quelle: U.S. Census Bureau

 

Diese neue demographische Situation ist nicht ohne politische Folgen, da die Vertretung jedes Staates im Repräsentantenhaus proportional zu seiner Bevölkerung ist und daher nach jeder zehnjährigen Volkszählung neu definiert wird. Die Zahl der Abgeordneten (435) ist seit 1910 stabil, und die Wahlkreise müssen so angepasst werden, dass ein Abgeordneter etwa die gleiche Einwohnerzahl repräsentiert. 

 

Die Karte „Sitzverteilung nach Bundesstaaten seit 2012 dem letzten Jahrzehnt“ zeigt, wie sich die Zuwanderung, gekoppelt mit der Industriekrise im Nordosten und den regionalen demographischen Entwicklungen auf die Sitzverteilung im Repräsentantenhaus ausgewirkt haben. Die Verlierer sind mehrheitlich die Nordoststaaten, die Gewinner die Südweststaaten. 

 

Verfolgt man diese Entwicklung etwas weiter zurück, so stellt man fest, dass der Trend bereits seit 1970 besteht. So hat nach eigener Rechnung der Nordosten (5) von 1970 bis 2020 31 Sitze verloren, wobei 14 Sitze auf das Konto von New York gehen.  Die Südstaaten (6) indessen haben 28 dazu gewonnen. Das bevölkerungsreichste Weststaat, Kalifornien, hat 15 Sitze dazu gewonnen. Allein Kalifornien (53 Abgeordnete), Texas (36) und Florida (27) «wiegen» heute 26.6 % des Repräsentantenhauses. 

 

Fazit und Schlussfolgerung

Man kann es drehen und wenden, wie man will, das Gesicht der USA verändert sich und die Karten werden neu verteilt. Das demografische und wirtschaftliche Kräfteverhältnis, das bisher den Nordosten begünstigte, hat sich nach Südwesten verschoben, und damit auch das rassische Kräfteverhältnis, das bisher die WASP im Nordosten begünstigte. 

 

So gesehen stehen die USA vor einer historischen Wende, die unter Umständen in einen neuen soziologischen Riss durch das Land münden könnte: Nordosten vs. Südwesten oder Rust Belt vs. Sun Belt. Das Konfliktpotential wäre enorm, nicht nur für die USA, sondern für die ganze Welt.

 

Ab dem 20. Januar 2021 ist wieder ein demokratischer Präsident am Ruder. Joseph Biden ist sich der Lage zweifellos bewusst, und er hat in seiner Wahlkampagne Massnahmen angekündigt, welche das Konfliktpotenzial reduzieren sollten: 

 

- Renewing Democracy at Home

- A Foreign Policy for the Middle Class.

 

Doch Bidens oberstes Ziel dürfte die „Rettung“ der U.S.- Aussenpolitik sein. Das hat er in einem öffentlichen Artikel angekündigt: "Why America must Lead Again“ (7). Damit beabsichtigt er der Aussenpolitik Trumps, die durch Kurzsichtigkeit, Geldgier und mangelndes Interesse an allem andere, ein Ende setzen. Aber ist das überhaupt noch möglich? 

 

Virginia Bischof Knutti©19.11.2020

 

Karte: Sitzverteilung nach Bundesstaaten seit 2012 sowie Veränderungen zum letzten Jahrzehnt. Quelle: Wikipedia Commons

(1) Census Bureau = Volkszählung (Anm. der Autorin).

(2) Vespa Jonathan, Lauren Medina and David M. Armstrong, „Demographic Turning Points for the United States: Population Projections for 2020 to 2060“, Current Population Reports, P25-1144,  U.S. Venus Bureau, Washington, D.C., 2020.

(3) Cohen Darryl T., "Population Trends in Incorporated Places: 2000 to 2013“, Current Population Reports, P25-1142, U.S. Census Bureau, Washington C.D., 2015. 

(4) Incorporated Places = eingemeindete Orte (Anm. der Autorin).

(5) Gemäss U.S. Census Bureau gehören folgende Bundesstaaten zum Nordosten: Connecticut, Maine, Massachusetts, New Hamsphire, New Jersey, New York, Pennsylvania, Rhode Island und Vermont (Anm. der Autorin). 

(6) Gemäss U.S. Census Bureau gehören folgende Bundesstaaten zum Süden: Alabama, Arkansas, Delaware, Florida, Georgia, Kentucky, Louisiana, Maryland, Mississippi, North Carolina, Oklahoma, South Carolina, Tennessee, Texas, Virginia und West Virginia (Anm. der Autorin).

(7) Biden Joseph R. Jr., Why America Must Lead Again, Rescuing U.S. Foreign Policy After Trump, in: Foreign Affairs, March/April 2020, https://www.foreignaffairs.com/articles/united-states/2020-01-23/why-america-must-lead-again.

 

 

 

 

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