· 

Wann kommt der Zug nach Val Müstair?

Graubünden zwischen Raserei und Stillstand

Anlass zu diesem Kommentar ist ein Artikel erschienen in der Südostschweiz vom 6. Januar 2021: „Ostalpenbahn: Fraktionen fordern rasches Handeln.“

Dabei entsteht der Eindruck, als würde Graubünden die lang ersehnte und nie realisierte Ostalpenbahn aus heiterem Himmel auf den Kopf fallen. Dem ist nicht so. Strenggenommen ist hier die Rede von der Verlängerung der Vinschgau-Bahn,  die Landeck mit Mals verbinden soll und die, falls Graubünden sich am Projekt beteiligt, einen Abstecher über Scuol und Val Müstair machen könnte. Mit einer Ostalpenbahn für Graubünden hat dieses Projekt von 21 km Länge durch das östliche Unterengadin also definitiv nichts zu tun. Um den Namen zu verdienen, müsste schon ein  für ganz Graubünden massgebendes Projekt wie eine Splügen-Bahn oder eine Lukmanier-Bahn gemeint sein. 

Dennoch könnte die Bahn Mals - Scuol, wie sie allgemein genannt wird, ein äusserst wichtiger Meilenstein der Eisenbahnpolitik des Kantons Graubünden werden.

Dieser Kommentar setzt sich grundsätzlich mit dem Thema Mobilität auseinander und zeigt, weshalb Graubünden und das Unterengadin den Anschluss am Tirol und am Südtirol mehr denn je brauchen. 

 

Was ist Mobilität? 

Ausgehend vom Grundsatz, dass alle Bevölkerungsgruppen schon immer in Bewegung waren (Invasionen, Migrationen), umfasst heute der Begriff der Mobilität sowohl Menschen als auch Waren, Kapital, Kompetenzen, Informationen und Ideen.  

 

Mit der Globalisierung wird Mobilität mit Fortschritt, Modernität und Marktwirtschaft assoziiert und hat quasi Menschenrechtscharakter bekommen. So fordert ein Bericht vom 30. Januar 2019 des französischen Ministère de la cohésion des territoires et des relations avec les collectivités locales: „Liberté, Egalité, Mobilité!“ (1) Im Jahre 2006 rief die Europäische Kommission das „Jahr der Mobilität der Erwerbstätigen“ (2) aus und förderte damit den Imperativ der Flexibilität des Arbeitnehmers, was überspitzt formuliert die Benachteiligung der Unbeweglichen gegenüber den Beweglichen bedeutet.

 

Die Coronakrise hat die Mobilität zweifellos gebremst, vor allem die Luftfahrt hat stark an Volumen eingebüsst, während die Eisenbahn das effizienteste öffentliche Verkehrsmittel bleibt, das es nach wie vor zu fördern gilt. Doch in der Schweiz, wo das Jahrhundertprogramm NEAT abgeschlossen ist und der Bund die landesweite Bahninfrastruktur für realisiert erachtet, wird zunehmend von „tragbarer Mobilität“ gesprochen. Mit anderen Worten: Bund und Kantone stehen auf der Bremse und werden äusserst selektiv und knauserig, wenn es um den Bau neuer Bahnverbindungen geht. Das bleibt nicht ohne Konsequenzen für Graubünden. 

 

Wozu Mobilität? 

Im schweizerischen Zeitalter der Dienstleistungen bewegen sich Menschen primär wegen der Freizeit (50 %), gefolgt von Arbeit (19 %), Einkauf (15 %), Ausbildung (6 %), geschäftliche Tätigkeit, Dienstfahrt (5 %) und Service und Begleitung (4 %) (3).

 

Das war nicht immer so. Ab Mitte des 19. Jh. wurde die industrielle Revolution weltweit durch die Eisenbahn befeuert. Als die englischen oder deutschen Kolonialherren Eisenbahnen in Afrika oder in Indien bauten, war nicht Nächstenliebe der Hauptgrund des Vorhabens, sondern die Notwendigkeit, die eroberten Gebiete zu erschliessen, um die gewonnenen Rohstoffe zum nächsten Hafen und dann nach Europa transportieren zu können. Aus Spass reiste dann niemand, denn das Reisen machte keinen Spass. Heute sind die Menschen in Entwicklungsländern zunehmend wegen Bildung oder der Flucht vor den heimatlichen Verhältnissen unterwegs.

 

Mobilität brachte die Kolonien in ein heute noch augenfälliges Abhängigkeitsverhältnis. So befindet sich der Verkäufer von Rohstoffen in einer schlechteren Lage als der Verkäufer von Investitionsgütern; der Verkäufer von High-Tech-Material hat Vorrang vor dem Verkäufer von Verbrauchsgütern des täglichen Bedarfs; derjenige, der die Transport- Lagerungs- und Vermarktungskapazitäten kontrolliert, zwingt demjenigen, der nur Betriebskonzessionen verkaufen kann, seinen Willen auf.  Dabei liegt die Macht jeweils bei demjenigen, der die grösste Marge aufweist bzw. am meisten Wert schöpft. Und der sitzt bekanntlich nicht im Süden. Ein grosser Teil der weltweiten Nord-Süd-Ungleichheit ist auf diese Realität zurückzuführen. 

 

Dieses Nord-Süd-Gefälle ist auch in der Schweiz feststellbar, ja sogar innerhalb des Kantons Graubünden selbst. In der Schweiz zieht sich das Gefälle entlang der Alpen, in Graubünden südlich des Churer Rheintals. Im Norden liegen die grössten Agglomerationen und die Wirtschaftszentren. Der von Gebirgen geprägte Süden ist hingegen die Welt der mehr oder weniger intakten Natur, des Natur- und Sporttourismus. Die einzige natürliche Ressource, ausser dem Mineralwasser, die im ganzen Kanton wirtschaftlich von Bedeutung ist, nämlich das Wasser für die Stromerzeugung, benötigt aber keine Bahninfrastruktur. Ausserdem ist die Bevölkerung ausserhalb des Churer Rheintals klein und zwischen den zahlreichen Seitentälern zersplittert. Das bedeutet, salopp ausgedrückt, dass südlich von Chur ausserhalb von mehr oder weniger grossen Tourismusmassen nichts Wesentliches zu transportieren gibt. Somit ist Mobilität in Graubünden grösstenteils Privatsache. 

 

In Graubünden macht der Tourismus im weitesten Sinne in etwa die Hälfte des BIP aus. Ohne den Tourismus würde die Bündner Wirtschaft keine 200’000 Bewohnerinnen und Bewohner ernähren. Es wäre verfehlt, diesen wichtigen Wirtschaftszweig zu ignorieren oder zu verteufeln, denn Tourismus ist derzeit in Graubünden der „beste“ Garant für Fortschritt und Entwicklung der lokalen Infrastruktur, ohne die der Kanton zum grössten Teil verwildern würde. Selbstverständlich ist es unvernünftig, unangemessen auf den Tourismus zu setzen, doch Voraussetzung für eine diversifizierte Wirtschaft ist eben Mobilität im öffentlichen Verkehr. 

 

Auch wenn theoretisch - und unter normalen Umständen - die gesamte Welt zugänglich ist, konzentriert sich der Tourismus auf wenige Räume, wodurch die Ströme auf einige grosse Verkehrsachsen begrenzt werden. Daher sind auch in Graubünden bei weitem nicht alle touristische Orte an einer Eisenbahn angeschlossen.  

 

Ein Beispiel hierfür ist das aus der karolingischen Zeit stammende Kloster St. Johann in Val Müstair, das 1983 in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen wurde. Eine Bahnlinie, die die Besucher jenseits des Ofenpasses, aus dem Tirol oder dem Südtirol befördert, sucht man in der ganzen Talschaft vergebens, obwohl die Anlage jährlich um die 70’000 Besucher empfängt. Vergebens sucht man auch eine Bahnlinie im Val Bregaglia oder in der Mesolcina, während sich die Gemeinde Tujetsch an der westlichen Peripherie des Kantons plötzlich mit der Schliessung des Autoverlads der Mattherhorn-Gotthard-Bahn konfrontiert sieht. 

 

Mobilität in Graubünden 

Gemäss Richtplanung des Kantons Graubünden sind im Gesamtverkehr folgende Charakteristika zu berücksichtigen: die Randlage, die Topografie, die geringe Bevölkerungsdichte und der hohe Anteil an Tourismusverkehr. Sie alle schränken die Handlungsfreiheit von Behörden, Investoren und Bevölkerung stark ein. 

 

Einige Eisenbahnprojekte wurden durch die RhB konkretisiert, andere wurden als unrentabel abgestempelt und begraben. Rentabilität - ein Argument, das schon seit jeher unwiderlegbar scheint. Ausserdem konnte man in Bundesbern nicht genügend Verständnis und Geduld für die verschiedenen Bedürfnisse der zahlreichen Bündner Täler aufbringen. Die Abbildung Seite 1 zeigt, wie bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jh. zahlreiche Pläne entworfen wurden, um die verschiedenen Täler des Kantons zu erschliessen. Tja, Graubünden ist halt ein komplexer Kanton! Wer mit Komplexität nichts anfangen kann, ist in Graubünden oder in Bezug auf Graubünden fehl am Platz. 

 

Die SBB betreibt in Graubünden nur die Strecke zwischen den Ausläufern des Sarganserlandes und Chur. Die SBB bleibt aussen vor, weil die damals versprochene Ostalpenbahn nie realisiert wurde, aber sie ist, zusammen mit der Eidgenossenschaft, dennoch massgebend am Aktienkapital der RhB beteiligt. Somit ist der grösste Teil des Kantons Hoheitsgebiet der Rhätischen Bahn. 

 

Jeden gefahrenen Meter mit der RhB durch Graubünden ist wahrhaftig ein Augenschmaus - als Tourist. Wenn man jedoch geschäftlich unterwegs ist, dann rauft man sich die Haare ob der Langsamkeit der RhB. Und man fragt sich: Wie bewegen sich hier die Einheimischen fort? Gar nicht. Ausser mit dem eigenen Auto, allenfalls dem Postauto. Deshalb ist es kein Wunder, dass die RhB seit jeher als „Touristenbahn“ verspottet wird. 

 

Allerdings sind die Verkehrsstrassen Graubündens in Punkto Sicherheit und Bequemlichkeit nicht mit denjenigen des Unterlandes vergleichbar. Sie sind vielfach enger und nicht selten von Steinschlag bedroht; Kreuzen an den Berghängen setzt nicht selten gefährliche Manöver voraus, und bei weitem nicht alle Bergstrassen sind mit Leitplanken versehen. Ausserdem staut es hier auch oft. So ist das Unterengadin aufgrund von zunehmenden Tourismusströmen nach und vom Zollausschlussgebiet Livigno oder von Liebhabern von abenteuerlichen Passfahrten (Umbrail, Stelvio) auch regelmässig von Überlastungen, Abgas- und Lärmimmissionen geplagt. Und das alles mit Benzinpreisen, die im Vergleich mit dem Unterland zwischen 10 und 20 Rappen pro Liter Bleifrei höher liegen. Hätte man Graubünden absichtlich strafen wollen, so hätte man es kaum besser hingekriegt.

 

In ihrer Botschaft 2012-2013 „Planung neuer Verkehrsverbindungen“ liess die Bündner Regierung erhoffen, dass sie eine willige Eisenbahnpolitik betreiben würde. Von den eingegangenen Projekten wurden zehn eingehend geprüft und in drei Prioritäten A, B und C gegliedert. Die A-Projekte geniessen die erste Priorität, während die B-Projekte vorläufig zurückgestellt und bei Bedarf zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen werden können; die C-Projekte werden nicht weiterverfolgt. 

 

Tabelle 1: Priorisierung der Projektstudien zur Planung neuer Verkehrsverbindungen in Graubünden

 

Projekte                                                                                                Priorität 

____________________________________________________________________________________

 

Beschleunigung SBB-Strecke Zürich - Chur                                              A

Beschleunigung Prättigau und Wolfgangtunnel                                         A

Erschliessung Chur - Lenzerheide (-Arosa)                                              A

RhB-Tunnel Arosa - Davos                                                                      B

Beschleunigung der Surselva-Strecke der RhB                                          B

Neue Bahnverbindung Engadin - Vinschgau                                             B

Tunnel Andermatt - Sedrun (Oberalpstrecke)                                           C

Neue Bahnverbindung Bellinzona - Mesolcina - Val Chiavenna                C

Neue Bahnverbindung Scuol - Landeck                                                    C

AlpTrain                                                                                                  C

 

Quelle: Bau-, Verkehrs- und Forstdepartement Graubünden )Zusammenstellung der Tabelle durch die Autorin)

 

Die Projekte, die eigentlich neue Verbindungen als Ziel verfolgten, befinden sich alle ausserhalb des Churer Rheintals und wurden in die Kategorie C verschoben und somit auch stillschweigend versenkt.  

 

Man wird den Eindruck nicht los, dass die kantonale Regierung allzu stark auf dem Churer Rheintal, dem dynamischsten Tal im Kanton, fokussiert ist, während die Seitentäler kaum berücksichtigt werden. Immerhin besteht Hoffnung, dass das letzte Projekt der Kategorie B, also die Neue Bahnverbindung Engadin - Vinschgau und sogar das nun zusammenhängende Projekt der Kategorie C Neue Bahnverbindung Scuol - Landeck neu beurteilt werden. 

 

Dabei möchte ich in Erinnerung rufen, dass vier Streckenvarianten des dritten B-Projekts durchgerechnet wurden. Berücksichtigt wurde schliesslich die günstigste Variante, die Val Müstair grossräumig umgeht, um circa 450 Mio. Franken einzusparen. Mit dem Resultat, dass der Strassenverkehr weiterhin ungehindert durch die Dörfer fahren darf, während  der Bahnanschluss in Santa Maria bzw. in Müstair verweigert wird. Heute wäre die bewusste Auslassung von Val Müstair aus reinen Kostengründen nicht mehr zu verantworten.   

 

In letzter Zeit haben die beiden Projekte B und C in abgeänderter Form Aufwind bekommen, weil die Regierungen von Tirol und Südtirol eine Eisenbahnverbindung zwischen Landeck und Mals anstreben. Dabei gibt es zwei Varianten: Die eine lässt Graubünden links liegen, die andere macht einen Abstecher durch Scuol und Val Müstair und führt dann eventuell in einer späteren Phase weiter nach Bormio. 

 

Mit diesem Vorhaben unserer östlichen und südlichen Nachbarstaaten rückt das Unterengadin plötzlich in den Fokus der Aufmerksamkeit und erlangt zugleich strategische Bedeutung: Tatsächlich liegt der östliche Teil der Unterengadin im sogenannten Rätischen Dreieck. Darüber hinaus stellt das Rätische Dreieck die Verbindung zwischen dem Grossraum München und dem Veneto sicher. Somit entwickelt es sich zu einem Knotenpunkt des europäischen Eisenbahnnetzes. 

 

Mit diesem neuen Plan kommt die Bündner Regierung nicht drumherum, die Lage nochmal zu beurteilen und der neuen Bahnverbindung Engadin - Vinschgau eine höhere Priorität einzuräumen. So hat sich die kantonale Regierung am 9. September 2020 bereiterklärt, das Projekt aufgrund der neuen Lage neu zu beurteilen. Der Grosse Rat drängt nun die Regierung, die Zweckmässigkeit des neuen Projekts zu prüfen und ein Konzept zur schnellen Zielerreichung der Absichtserklärung vorzulegen. Kostenpunkt des Projekts: zwischen 1 und 2 Mrd. Franken, wobei die EU und das Südtirol angeblich 75 % der Kosten übernehmen würden. 

 

Die Falle der Mobilität

Ich komme auf das Top-Projekt der kantonalen Regierung zurück, nämlich die Beschleunigung der SBB-Strecke Chur - Zürich. Ziel ist es, die Fahrt von aktuell 75 Minuten auf maximal 60 Minuten zu reduzieren. Am Projekt sind fünf Kantone (Graubünden inklusive) beteiligt. Kostenpunkt: 8,5 Mrd. Franken - oder eine halbe Milliarde pro Minute sogenannten Zeitgewinnes. 

 

Für die Bündner Regierung ist eine engere Anbindung an der wirtschaftlichen Dynamik der Zürcher Agglomeration wichtig. Doch der Sogprozess findet auch ohne Beschleunigung der Strecke Chur - Zürich statt. Ihm mit zusätzlichen 8,5 Mrd. Franken Vorschub zu leisten, ist aus meiner Sicht völlig überflüssig. Das Projekt bringt zweifellos Vorteile für Pendler aus dem Churer Rheintal und den angrenzenden Regionen, doch das beispiellos teure Projekt mobilisiert Gelder, die wiederum an der Peripherie des Kantons fehlen, wo die Infrastruktur noch mangelhaft ist. Mit dem Resultat, dass die Abhängigkeit Graubündens vom Grossraum Zürich immer grösser wird, während eine Ausbalancierung der Beziehungen zugunsten Italien bzw. Österreich sinnvoller und auch wirtschaftlich gesünder wäre. 

 

Was die Befürworter dieses überteuerten Projekts ebenso übersehen, ist die sogenannte Falle der Mobilität. Tatsächlich stellt man weltweit fest, dass je schneller ein Transportmittel ist (wie z.B. das Flugzeug), desto länger verweilt man zu Fuss in Warteschlangen oder bei Security-Checks. Und bei der Bahn führt die kleinste Panne zum Stillstand, weil die eng getakteten Zugbewegungen keine Dysfunktion vertragen. Sie übersehen, dass die nächste Stufe der Beschleunigung in der Virtualität liegt, wenn alle schon nur auf Digitalisierung schwören. Um Zeit zu sparen, sollten sie vielmehr auf Geschäftsreisen verzichten und stattdessen vermehrt auf Videokonferenzen setzen. 

 

Fazit und Schlussfolgerung

Mobilität wird mit Fortschritt und Entwicklung assoziiert. Doch während Mobilität im Unterland und im Churer Rheintal zur Raserei tendiert, steht der Rest des Kantons Graubünden still. 

 

Das letzte Grossprojekt, das zur Annäherung zwischen Nordbünden und dem Engadin führte, war der Bau des Vereinatunnels zwischen Selfranga und Sagliains - ein RhB-Projekt, das grösstenteils fairerweise durch die SBB finanziert wurde. An der äussersten Peripherie des Kantons allerdings bewegt sich gar nichts. Die Bevölkerung der Südtäler bleibt topografisch und verkehrstechnisch von Nordbünden abgewandt und hat keine andere Wahl, als sich auf der Strasse nach der Lombardei, dem Tirol, bzw. dem Südtirol zu orientieren. Die Beförderung von Touristen mittels Eisenbahn ab Scuol nach Osten und Süden bleibt bisher ebenso Wunschdenken.  

 

Mit der Verlängerung der Vinschgau-Bahn nach Scuol - (Val Müstair) - Mals erlangt nun das Unterengadin strategische Bedeutung mit Aussicht auf Anschluss an das europäische Eisenbahnnetz. Wird das Projekt von der Bündner Regierung versenkt oder entscheiden sich das Tirol und das Südtirol für die Variante, die Graubünden umfährt, wird das Unterengadin verkehrstechnisch abgehängt. Dazu darf es unter keinen Umständen kommen. 

 

An den Kosten darf das Projekt nicht scheitern, zumal die EU und Südtirol angeblich 75 % der Baukosten übernehmen sollen; Graubünden müsste demnach die restlichen 25 % bezahlen, was zwischen 250 und 500 Mio. Franken ausmachen sollte. 

 

Und falls die Rechnung doch höher zu Buche schlagen sollte, wäre die Finanzierung dieses Projektes gegenüber der Beschleunigung der SBB-Strecke Chur-Zürich eindeutig vorzuziehen. Alles andere wäre aus meiner Sicht unsinnig.

 

Die Coronakrise mag die interkontinentale Mobilität für eine Weile oder gar für immer einschränken, doch nicht die regionale Mobilität. Im Gegenteil, diese wird voraussichtlich zunehmen. Deshalb brauchen Graubünden und das Unterengadin die Verlängerung der Vinschgau-Bahn nach Scuol und Val Müstair. Lieber heute als morgen. 

 

Diese einmalige Gelegenheit nicht wahrzunehmen, würde bedeuten, Teile Graubündens ihren Kommunikationsmöglichkeiten zu berauben und dauerhaft unbeweglich zu machen.

 

Virginia Bischof Knutti©02.02.2021

 

Quellen und Anmerkungen:

Bild 1: Paul Stopper, Dipl. Bauing. ETH/Verkehrsplaner, in: Eisenbahn-Entwicklung im Erweiterten Rätischen Dreieck „Terra Raetica“, Teil 1, Hauptbericht, 20.12.2017, S. 18, https://0e588c93-5181-4b06-8b72-70db405f3c63.filesusr.com/ugd/0f8435_7fea71d32d5743d082784c9eecac783b.pdf.

Tabelle 1: Planung neuer Verkehrsverbindungen, https://www.gr.ch/DE/Medien/Mitteilungen/MMStaka/2012/Seiten/2012092704.aspx, gesichtet am 01.02.2021.

République française, Archives du Ministère de la cohésion des territoires et des relations avec les collectivités territoriales, https://www.cohesion-territoires.gouv.fr/archives/liberte-egalite-mobilite.html.

Europäische Kommission, Europäisches Jahr der Mobilität der Arbeitnehmer (2006), https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=LEGISSUM:c11333&from=EN, gesichtet am 28.01.2021.

Bundesamt für Statistik BFS, Tägliche Distanz und Unterwegszeit, https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/mobilitaet-verkehr/personenverkehr/verkehrsverhalten/tageszeit-unterwegszeit.html, gesichtet am 21.01.2021.

Kanton Graubünden, Botschaft der Regierung an den Grossen Rat, Heft Nr. 12/2012-2013, Planung neuer Verkehrsverbindungen, https://www.gr.ch/DE/Medien/Mitteilungen/MMStaka/Dokumente2012/Botschaft_12_2013_Web2.pdf.

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0