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Wer rettet das Bad Alvaneu?

Chronik einer kurzsichtigen Ambition

Am 16. März 2021 erliess die Bad Alvaneu AG eine Medienmitteilung, wonach das Badezentrum Alvaneu vorläufig geschlossen bleiben würde. Als Folge der Pandemie sei die Liquidität der Gesellschaft zur Deckung der laufenden Kosten nicht sichergestellt. Den siebzehn Mitarbeitenden, meist Teilzeitbeschäftigten aus der Region, sei vorsorglich gekündet worden. 

Die seit 2017 laufenden Gespräche zwischen der Bad Alvaneu AG und deren Davoser Mehrheitsaktionärin Christoffel Holding AG einerseits und der Gemeinde Albula/Alvra und dem kantonalen Amt für Wirtschaft und Tourismus andererseits hätten bislang keine Lösung für die nötige Schuldensanierung und die Finanzierung der operativen Kosten erbracht. 

Tatsache ist, das Bad kämpft seit Jahren mit rückläufigen Besucherzahlen und ungedeckten operativen Kosten. Die Schliessung aufgrund der Coronapandemie hat die Situation zusätzlich verschärft. 

Es droht ein langer Kampf zwischen Bittstellern einerseits und politischen Ämtern andererseits, die sich aber lieber früher als später wohl einigen werden müssen, denn die Aufgabe des Bades Alvaneu ist keine Option. 

Mit diesem Beitrag möchte ich auf die Geschichte des Bades zurückkommen, die geopolitischen Faktoren der Infrastruktur erleuchten und ein paar Lösungsansätze vorschlagen.

 

Kleine Geschichte vom Bad Alvaneu

Die heutige Fraktion Alvaneu Bad (Bogn d’Alvagni) der Gemeinde Albula/Alvra lag bereits zu Römer Zeiten auf der Route, die zum Albulapass führte. Die Schwefelquellen wurden vermutlich bereits zu jenen Zeiten genutzt. Das Schwefelbad ist 1474 erstmals erwähnt. Dreihundert Jahre später wurde über die Heilwirkung des Schwefelwassers wissenschaftlich berichtet. Besitzer des Bades waren im 17. Jh. die Familie Walthier, im 18. Jh. Simmen und Sprecher, im 19. Jh. die Balzer von Alvaneu. Die Pferdepostverbindung auf der neuen Albulastrasse brachte in der zweiten Hälfte des 19. Jh. einen Aufschwung für Bad und Ort; es entwickelten sich Gewerbe und Gasthöfe. Ein Kurhaus wurde 1866 erbaut, das 1904 erweitert wurde. Das alte Hotel und Kurhaus Alvaneu (Foto) erlebte seine Glanzzeiten zwischen 1900 und 1930. Wirtschaftliche Schwierigkeiten führten jedoch 1962 zur Schliessung.

 

In den Bergen brach die Kultur der Heilbäder nach dem Zweiten Weltkrieg grösstenteils zusammen. Erhalten konnten sich nur diejenigen, die sich kräftige Investitionen leisten und ihr Angebot ausbauen bzw. modernisieren konnten. 1980 wurden in der Schweiz von den 1848 350 bekannten Heilquellen nur noch 46 Badekurorte mit insgesamt 69 Quellen verzeichnet. (1) Heute sind in Graubünden nur noch folgende im Betrieb: Vals, Klosters-Serneus?, Andeer, Scuol und bis vor kurzem Bad Alvaneu. 

 

Die 1996 errichtete Golfanlage mit anschliessendem Neubau des einstigen Kurhauses sollte den Anfang einer wirtschaftlichen Neubelebung markieren. (2) Im Jahre 2001 wurde das kleine neue Bad Alvaneu eröffnet. Ermöglicht wurde der Bau unter anderem dank einem Investitionsdarlehen des Bundes in der Höhe von Sfr. 416’550. (3)

Nach einem erfolgsversprechenden Anfang beginnt um 2008 eine leidliche Abfolge von Rückschlägen, die sich offenbar mit 4-5 Jahren Abstand wiederholen: 

  • Seit 2002 sind die Eintritte von 83’000 auf 53’000 im Jahr zurückgegangen, vermeldete bereits 2013 der Verwaltungsratspräsident der Bad Alvaneu AG Hans Christoffel. Als Grund für den Rückgang nannte er unter anderem die Zunahme von Konkurrenzangeboten in der weiteren Region. (4)
  • Seitdem sind verschiedene Sanierungspläne implementiert worden. So wurden die Energiekosten gesenkt, indem eine von Hans Christoffel finanzierte Wärmepumpe 2013 installiert wurde. 2014 wurden die Öffnungszeiten des Bades - und folglich auch die Löhne - allmählich um drei Stunden pro Tag gekürzt und eine Garantie von Sfr. 140’000 der Gemeinde vergeben. (5)  Im selben Jahr gewährte Christoffel der Bad Alvaneu AG einen Schuldenerlass von Sfr. 490’000 und es wurde eine Kapitalerhöhung von Sfr. 700’000 getätigt. Allein die Familie Christoffel soll einen Beitrag von über zwei Millionen Franken aus der persönlichen Kasse für die Bad Alvaneu AG geleitstet haben. Dennoch verzeichnete das Bad 2014 einen Verlust von Sfr. 1,9 Mio. Der gesamte Sanierungsbedarf betrug damals Sfr. 3,15 Mio. (6)
  • Wie hoch der aktuelle Verlust ist, ist aus öffentlichen Quellen nicht auszumachen. Der Konkurs wird in Erwägung gezogen. Von der bisherigen Berichterstattung ist nicht zu übersehen, dass die Sanierungskosten unaufhörlich steigen und die Forderungen von der Bad Alvaneu AG an die öffentliche Hand ebenso. Im Rahmen der 2017 begonnenen Verhandlungsrunde stand die Frage im Raum, ob die Gemeinden Albula/Alvra und Surses gesamthaft Sfr. 200’000 zur Deckung der Betriebskosten beisteuern sollten. (7)

Das Bad Alvaneu kann offenbar nicht rentabel betrieben werden, also liegt es wirtschaftlich gesehen nah, es zu schliessen. Doch die wirtschaftliche Analyse greift wie immer zu kurz.  

 

Was steht auf dem Spiel?

Die Frage ist hier nicht lediglich, was der Betrieb der Bad Alvaneu AG kostet, sondern auch, welchen Nutzen die Infrastruktur für die Region darstellt. Dabei ist nicht auszuschliessen, dass die Dimension der Bad Alvaneu AG möglicherweise von Anfang an zu eng bemessen wurde, was unter Umständen erklären könnte, dass sie innerhalb ihrer 20 Jahre Existenz nie auf einen grünen Zweig kommen konnte.  

 

Die Bad Alvaneu AG beschäftigte bis zu deren Kündigung im März 2021 siebzehn Teilzeitangestellte. Zusammen mit der Golf Alvaneu AG sind bzw. waren um die 60 Personen beschäftigt. Für ein rund 400-Seelendorf, für die Gemeinde, die Region und den Kanton ist ein solches Unternehmen ein wichtiger Keyplayer, der drei wichtige Funktionen ausübt: 

  1. Es bewirtschaftet eine natürliche Ressource, 
  2. es bewahrt eine Infrastruktur (Badanlage),
  3. es trägt zur Diversifizierung des regionalen touristischen Angebotes und des lokalen Arbeitsmarktes bei.

Mit der Schliessung des Bades würden diese drei Faktoren zunichte gemacht werden, was nicht im Interesse der Beteiligten sein kann.

 

Der Stellenwert des Bades Alvaneu im Richtplan der Region Albula

Daher ist es nicht verwunderlich, dass dem Bad Alvaneu ein höherer Stellenwert beigemessen wurde, der heute möglicherweise von lauter Corona übersehen wird. Der Richtplan Erlebnisraum „Landwasserwelt“ der Region Albula vom 15. Mai 2020 sieht vor, die Hauptattraktion der UNESCO-Welterbestrecke der RhB touristisch aufzuwerten. Im Grunde geht es darum, den Feriengästen mehr Aktivitäten zu bieten, damit sie ihren Aufenthalt in der Region verlängern. Die übergeordnete Zielvorstellung lässt sich in vier Grundsätzen zusammenfassen: 

  1. Das Landwasserviadukt als Wahrzeichen Graubündens zu positionieren,
  2. die Bahnkultur und das UNESCO-Welterbe sichtbar zu machen und in Wert zu setzen, 
  3. den Sommertourismus in Region und Kanton zu stärken, 
  4. einen attraktiven Ausflugsort für Gäste aus aller Welt zu schaffen. (8)

 

Zu diesem Zweck werden unter anderem die Bahnhöfe Filisur, Surava, Bergün und Alvaneu renoviert. Zudem sollen weitere, das Bahnkulturthema ergänzende Themenräume entwickelt werden: Wald, Landwirtschaft, Freizeitanlage und Wasser: 

 

„Der Themenraum Wasser nimmt das für die Region wichtige Thema Wasser auf (Bad Alvaneu Wasserweg, Elektrizitätswirtschaft) und ist als Ergänzung zum Wasserweg beim Bad Alvaneu vorgesehen. Angedacht ist eine sanfte Weiterentwicklung des Wasserwegs Ansaina und eine Erweiterung des bestehenden Aussenbereichs des Bads Alvaneu mit Wasserspielen und weiteren Elementen. Denkbar ist auch, das Thema Wasser bereits beim Bahnhof Alvaneu oder in anderen Gebieten zu inszenieren.“ (9)

 

Somit ist belegt, dass das Bad Alvaneu zu einem wichtigen Bestandteil des Richtplanes der Region aufsteigen soll und dass man ihm in diesem Rahmen realistischerweise die Fähigkeit zurechnet, zum finanziellen Gedeihen der Region beizutragen, vorausgesetzt - der Bericht ist explizit - die Anlage wird vergrössert und aufgewertet. Das Bad zu diesem Zeitpunkt aufzugeben, wäre deshalb nicht zu erklären. Zumal die Medienmitteilung vom 16. März 2021 der Bad Alvaneu AG ein pikantes Detail offenbart: 

 

„1987/88: Erste Verhandlungen über den Kauf des Kurhauses Alvaneu Bad durch Hans Christoffel. Auflage für den Bau des Golfplatzes war Wiederinbetriebnahme eines Schwefelbades!“

 

Dieses neue Element trägt möglicherweise den Wurm in sich, denn mit Auflagen schlägt sich kein Unternehmer gern um. Ich kenne die Details der damaligen Verhandlungen nicht, aber es ist denkbar, dass sich die Christoffel Holding AG und die öffentlichen Hand damals auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeint haben dürfen, wobei das Bad von Anfang an zu klein dimensioniert und daher unterfinanziert wurde. Mit dem Resultat, dass es nie in den Genuss der notwendigen Mittel für sein Gedeihen gekommen ist. 

 

Nun stehen wir 12 Jahren nach den ersten bekannt gewordenen finanziellen Schwierigkeiten des Bades Alvaneu wieder am toten Punkt: Einerseits haben die Gemeinde und der Kanton schwerwiegende Vorbehalte, den Betrieb des Bades weiter zu finanzieren. Andererseits weigert sich möglicherweise die Familie Christoffel, den Betrieb des Bades durch profitablere Unternehmen der Familienholding wie z.B. die Golf Alvaneu AG oder die Ferienwohnungen Christoffel AG querzufinanzieren.

 

Lösungsansätze

Denkbar wäre eine Kombination aus drei Möglichkeiten:

  • Ich stamme aus dem Kanton Waadt. Wir haben da einen lehrreichen Spruch für solche Fälle: mettre de l’eau dans son vin. Das bedeutet, dass alle Partner der Verhandlungsrunde einen Schritt zueinander machen sollten. Fürs Erste, denn das wird in diesem Fall nicht reichen.
  • Angesichts der Einbettung des Bades Alvaneu in den Richtplan der Region Albula sowie der Tragweite des Gesamtkonzeptes UNESCO-Welterbes „Rhätische Bahn in der Landschaft Albula/Bernina“ wäre die Suche nach Finanzierungsquellen zu erweitern: der Bund oder die RhB dürften auch ein Interesse daran haben, dass die Region sich weiterentwickelt und auf die Dauer finanziell besser aufgestellt wird. 
  • Nicht zu vergessen bleiben letzten Endes aber auch die Bürgerinnen und Bürger, nicht bloss als Steuerzahler, sondern als potentielle Aktionäre. Eine Kapitalerhöhung mit Beteiligung der Lokalbevölkerung, allenfalls der Feriengäste, ist zwar aufwendig und kommunikativ anspruchsvoll, doch diese dürfte auch ein grosses Interesse haben, die Bad Alvaneu AG als Arbeitgeberin zu retten. 

 

Fazit und Schlossfolgerungen

Eine natürliche Ressource wie Thermalwasser zu besitzen, ist ein Segen, sie zu kontrollieren, ist aber eine ganz andere Sache. Mit allem Verständnis für die aktuelle, coronabedingte Lage hat die Privatwirtschaft doch die unerfreuliche Tendenz, ihre Verluste zu verallgemeinern und ihre Gewinne zu privatisieren. Darauf sollte die Politik zur gegebenen Zeit angemessen reagieren. 

 

In Graubünden besteht eine lange Tradition, die Kontrolle über die eigenen Ressourcen den kräftigeren Investoren im Unterland abzugeben. Geopolitisch betrachtet, wäre es wünschenswert, wo immer möglich, den Aderlass zu stoppen und die Kontrolle über die eigenen Ressourcen (zurück)zuerlangen.

 

Das Bad Alvaneu ist eigentlich ein kleines Juwel in der Landschaft der Region Albula - das darf man nicht übersehen. Es aufzugeben, ist keine Option, da die Behörden ihm im Rahmen des Richtplans eine bessere Zukunft zugedacht haben. 

 

Man muss aber eingestehen, dass das Bad in der aktuellen Form nur für ein beschränktes - meist älteres - Publikum ausgerichtet ist. Zudem kommt dem Badegast den Besuch der Anlage rasch langweilig vor. Wenn man sich nicht länger als 20 Minuten im Schwefelwasser aufhalten soll - so die Vorschrift - und der Eintrittspreis für einen zweistündigen Aufenthalt gerechnet ist, was soll man dann den Rest der Zeit auf so knappem Raum bloss tun? Die Badegäste suchen in der Regel abwechselnde Spa-Tätigkeiten, vor allem im Winter. Eine Erweiterung des Bades als Freizeitanlage wäre also unumgänglich, um mehr Gäste anzuziehen und zum Wiederkommen zu animieren. 

 

Wenn mehr Rentabilität erwartet wird, muss man also investieren. Die Betriebskosten Jahr für Jahr notdürftig zu decken wie bis anhin, hat sich offenbar nicht als zielführend erwiesen. 

 

In Alvaneu Bad wie fast überall im Kanton muss in grösseren Dimensionen gedacht werden. Dabei soll das Bad und jede Infrastruktur prinzipiell ganz oben auf der Prioritätenliste der Berggebiete stehen. Wenn es nicht gelingt, den Zusammenbruch oder die Aufgabe der Infrastrukturen in Graubünden zu stoppen, dann besitzt der grösste Teil des Kantons keinerlei Zukunft mehr als Lebens- und Wirtschaftsraum. Der Erhalt der Infrastrukturen ist hier derzeit die Schlüsselaufgabe und geht mit der Schaffung und Diversifizierung der Arbeitsplätze einher. 

 

Im Falle einer Schliessung der Anlage bleibt noch immer die Frage der Klausel offen, welche die Eröffnung des Golfes an diejenige des Bades geknüpft hat: Weshalb soll die Golf Alvaneu AG weiterhin bestehen, wenn die Bad Alvaneu AG zugrunde geht? 

 

Virginia Bischof Knutti©13.04.2021

 

Quellen:

  1. Reichen Quirinus, Bäder, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 04.05.2017, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016308/2017-05-04/.
  2. Thöni Gion Peder, Alvaneu Bad, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 01.12.2016, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008103/2016-12-01/.
  3. Südostschweiz Online, vor 8 Jahren, Nun doch eine Gemeindegarantie für die Bad Alvaneu AG, https://www.suedostschweiz.ch/politik/nun-doch-eine-gemeindegarantie-fuer-die-bad-alvaneu-ag.
  4. Südostschweiz Online, vor 7 Jahren, Trotz Gästekrititik: Bad Alvaneu auf dem Weg der Besserung, https://www.suedostschweiz.ch/zeitung/trotz-gaestekritik-bad-alvaneu-auf-dem-weg-der-besserung.
  5. Südostschweiz Online, vor 8 Jahren, Sanierungskonzept für Bad Alvaneu steht, https://www.suedostschweiz.ch/vermischtes/sanierungskonzept-fuer-bad-alvaneu-steht.
  6. Südostschweiz Online, vor 6 Jahren, Bad Alvaneu kämpft ums Überleben, https://www.suedostschweiz.ch/wirtschaft/2015-03-31/bad-alvaneu-kampft-ums-uberleben.
  7. Südostschweiz Online, 09.04.2021, So bald wird das Bad nicht öffnen, https://www.suedostschweiz.ch/wirtschaft/2021-04-08/so-bald-wird-das-bad-nicht-oeffnen.
  8. Region Albula und Gemeinde Davos, Region Albula - Richtplan Erlebnisraum „Landwasserwelt“, Mitwirkungsauflage vom 15.05.2020, S. 4, https://www.region-albula.ch/uploads/files/richtplantext-2.pdf.
  9. Ibid, S. 13. 

 

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