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Die schweizerische Post

Ein Leuchtturm versinkt und hinterlässt Orientierungslosigkeit

Anlass für diesen Kommentar ist ein Artikel vom 27. April 2021 in Südostschweiz Online: „Post kehrt sich vom Land ab.“

Die Feststellung ist an sich nicht neu, aber der Artikel zeigt, dass die Reform der Post bei weitem nicht abgeschlossen ist. Bluten werden weiterhin die ländlichen Räume und die Berggebiete. 

Ich beginne diesen Kommentar mit einer Kurzgeschichte der Post, dann werde ich die neuen Herausforderungen der Institution mit Querbeispielen aus Frankreich darlegen, dann die geopolitische (oder die raumplanerische) Bedeutung der Post in Erinnerung rufen  und schliesslich möchte ich meinen Kommentar mit einer satirischen Schlussfolgerung abrunden.

 

Kleine Geschichte der schweizerischen Post 

1848 war die schweizerische Post landesweit die erste staatsbildende Institution des jungen Bundesstaates. Poststellen, -kutschen und -boten trugen das Schweizer Kreuz ins ganze Land und stärkten das Vertrauen in die zentrale Verwaltung. Nach 1880 baute die Post in allen grösseren und kleineren Städten repräsentative Postgebäude, um die staatstragende Rolle der Post zur Schau zu stellen. (1) Repräsentative Beispiele hierfür in Graubünden sind die alte Post in Arosa oder die zentrale Post in Chur. 

 

Bei der Gründung des Bundesstaates 1848 wurde zuerst die Post, dann 1874 die Telegrafie zur Bundesaufgabe erklärt, was ein Monopol begründete, dem 1878 auch das Telefon unterstellt wurde. Die Post- und die Telegrafenverwaltung (inkl. Telefon) bildeten zwei eigene Direktionen. Bereits ab den 1850er Jahren erhoffte man sich von deren Zusammenlegung Einsparungen bei Verwaltung und Betrieb. Zwischen 1920 und 1928 erfolgte die schrittweise Vereinigung zur PTT. 

 

Ab 1923 übermittelte die PTT zudem Radio- und ab 1953 Fernsehsendungen und war von der Gründung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) 1931 bis Ende der 1980er Jahre für Beschaffung und Unterhat der SRG-Studioeinrichtungen zuständig. 

 

Die PTT war ein selbständiger eidgenössischer Betrieb ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Der Bundesrat übte die Oberaufsicht über Geschäftsführung und Finanzen aus und erteilte die zur Wahrung der Landesinteressen nötigen Weisungen. 1970 erhielt die PTT eine ähnliche Autonomie wie die SBB und einen vom Bundesrat bestellten Verwaltungsrat.

 

In den 1980er Jahren wurde die Monopolstellung im Fernmeldebereich in Frage gestellt. Gleichzeitig sah sich die PTT vermehrter Konkurrenz in den Bereichen Express- und Paketdienste ausgesetzt. Die PTT-Reform führte 1990 die Kostentransparenz ein, beendete die Quersubventionierung und teilte das Unternehmen 1993 in Post PTT und Telecom PTT. Das Fernmeldegesetz von 1997 bewirkte eine Liberalisierung des Fernmeldemarkts, das Postgesetz aus dem gleichen Jahr dagegen aus Rücksicht auf die Grundversorgung nur eine stark eingeschränkte Öffnung des Postmarktes. 

 

Postorganisations- und Telekommunikationsunternehmungsgesetz trennten die PTT 1998 in Post und Swisscom AG auf. Die Swisscom AG als privatwirtschaftliches Unternehmen mit einer Mehrheitsbeteiligung des Bundes und Die Post als öffentlich-rechtliche Anstalt des Bundes waren fortan zwei unabhängige Unternehmen. 

1950 beschäftigte die PTT rund 30’000 Personen, 1975 waren es 50’000 und auf dem Höhepunkt 1992 63’992. Zum Zeitpunkt ihrer Auflösung war die PTT der grösste Arbeitgeber der Schweiz und generierte mit 13 Mrd. Franken den grössten Inlandumsatz. (2) Im Jahr 2020 erwirtschaftete sie mit 39’089 Personen knapp über 7 Mrd. Franken. (3) 

 

Die neuen Herausforderungen der Post

Heute ist der Bund Aktionär der Post und vertritt eine ganz andere Interessenlage als vor 173 Jahren, als bei der Gründung der modernen Schweiz und der Post die nationale Kohäsion das Hauptproblem des Landes war. Mindestens seit 2015 wird ein Staatsbetrieb wie die Post von einer amerikanischen Ratingsagentur, Standard & Poors Global, bewertet! (4) Viel mehr sind es heute also Finanzfragen, die die Welt und unser Land bewegen. 

 

Diesbezüglich steht die Post vor zwei grossen Herausforderungen:  

  • Der Rückgang der Postgeschäfte am Schalter beträgt zwischen 2000 und 2020 bei Briefen 75 %, bei Paketen 25 % und bei Einzahlungen 57 %. 
  • Der Rückgang der Gewinne von PostFinance durch Faktoren wie Grundversorgungsauftrag, Negativzinsen, Kreditvergabeverbot oder das Notfallkapital belasten das Ergebnis des gesamten Konzerns und vermögen die Verluste der anderen Geschäfte nicht mehr zu kompensieren. (5)

Wie lässt sich dieser schwierige, sozioökonomische Kontext mit den Anforderungen des Service public vereinbaren, die das Unternehmen noch erfüllen soll: die Zustellung der Post an sechs Tagen in der Woche, die Zustellung der Presse, die Zugänglichkeit zu Bankfunktionen und die Raumplanung? Die Frage stellt sich vor allem bei den Poststellen im ländlichen Raum und in den Berggebieten. 

 

In Frankreich zum Beispiel waren vor der Reform 60 % der Poststellen im ländlichen Raum angesiedelt, aber sie machten nur 1 % des gesamten Umsatzes aus. La Poste unternahm in Frankreich sofort grosse Modernisierungsanstrengungen: In nur drei Jahren wurden mehr als 2200 Poststellen geschlossen, das heisst jede sechste. (6)

 

In der Schweiz gibt es keine geografische Aufteilung des Umsatzes, aber der Jahresbericht 2020 deckt auf, dass die Post 15’655 Personen in peripheren Regionen beschäftigt, verglichen mit einem gesamten Personalbestand von 39’089 Personen, ist das rund 40 %. (7) Die Anzahl Poststellen in der Schweiz ist von 3646 im Jahr 1997 auf 904 im Jahre 2020 gesunken. Bis Ende 2021 will die schweizerische Post das Postnetz zusätzlich von 904 auf 800 Poststellen reduzieren, das heisst 4,5 mal weniger. 

 

Auf dieser Rechnungsbasis ist es anzunehmen, dass die ländlichen Räume und Berggebiete die Hauptlast der noch 104 zu streichenden Poststellen tragen werden müssen. Um den Betroffenen zu helfen, die Kröte zu schlucken, erhöht die Post gleichzeitig die Anzahl Zugangspunkte auf über 5’000 landesweit. Doch das ist ein schwacher Trost.

 

Die geopolitische Bedeutung der Post

Die Schliessung einer Poststelle wird sowohl als dramatischer Statusverlust für die betroffene Gemeinde, vor allem in ruralen und Berggebieten, als auch als Bruch einer lebenswichtigen Verbindung mit dem Rest des Landes empfunden. Denn wir haben oben gelesen, dass die Post ein Kohäsionsfaktor war und im Prinzip auch bleibt.

 

Diese Massnahmen zur Umstrukturierung der öffentlichen Dienste wurden auf nationaler Ebene mit dem Ziel der Rationalisierung entwickelt. Sie basiert auf technischen und finanziellen Argumenten sowie auf der Berücksichtigung von Indikatoren (Auslastung, Rentabilität, Betriebsdefizit). Sie stützen sich auf Ziele, die an den «gesunden Menschenverstand» appellieren (Kostensenkung, Bekämpfung unnötiger Ausgaben, Anpassung der Leistungen an den Bedürfnissen), die in der Regel von der Mehrheit der Stimmberechtigten, die kaum von den Reformen betroffen sind, nicht in Frage gestellt werden.

 

So wurden zwei Volksinitiativen mit dreizehn Jahren Abstand an den Urnen nacheinander abgelehnt. Die Initiative „Postdienste für alle“ die ein flächendeckendes Poststellennetz und eine Defizitgarantie in der Bundesverfassung verankern wollte, wurde im September 2004 sehr knapp verworfen. Die „Initiative für mehr Service Public“ wurde 2016 mit 67,5 % der Stimmen abgelehnt.

 

Resultat: Noch vor zehn Jahren zählte das Postfilialennetz Graubündens 107 eigenbetriebene Filialen. In der Zwischenzeit sind es nur noch 37. (8) 

 

Der Transfer von einzelnen Postleistungen in Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien, Tourismusbüros oder in eine Bibliothek, wie Bivio, Santa Maria Val Müstair, Silvaplana, Zuoz, Celerina, Sedrun, Trun, Laax, Untervaz oder Chur Postplatz in den letzten drei Jahren erlebt haben, wird von der Lokalbevölkerung als eine Abwertung ihrer Gemeinde empfunden. 

 

Versuchen wir nun anhand der Poststelle Chur Postplatz die nächsten Abbauschritte der Post zu antizipieren: In Chur betreibt die Post 5 Filialen, für unsere Zwecke ungeachtet davon, welche Dienstleistungen sie anbieten. Auf eine Bevölkerung von rund 40’000 Einw. steht also in Chur eine Poststelle für 8’000 Einw. Auf die Bündner Regionen übertragen könnte das theoretisch bedeuten, dass eine einzige Poststelle auf die ganze Region Albula/Alvra zukäme, ebenso für die Region Moesa und die Engiadina Bassa/Val Müstair. Die Region Bernina müsste sich eine Poststelle mit einer Nachbarregion teilen, da sie knapp auf 4’000 Einw. kommt. Und das ist noch eine grosszügige Rechnungsbasis. Auf die gesamte Schweizer Bevölkerung umgerechnet (8’670’000 Einw.) kämen im Schnitt auf jede der verbliebenen 800 Poststellen 10’837 Einw. 

 

In Frankreich, wo man die Dinge beim Namen nennt, spricht man in den ruralen Gebieten von „désertification“ - désert médical, désertification des campagnes -, was man auf Deutsch mit „Wüstenbildung“ oder „Verödung“ übersetzen kann. Eine Wüste ist kein Ort, wo ein Mensch leben kann, ausser in den Oasen. Eine Wüste wird nur durchquert, und zwar so schnell wie möglich. 

 

Wüstenbildung mag übertrieben erscheinen, wenn man den Begriff auf gewisse Bündner Dörfer oder Gemeinden überträgt. Doch er vermag am besten die Ängste der Lokalbevölkerung zu widerspiegeln und die Aufmerksamkeit auf ihre hoffnungslose Lage zu lenken. Geopolitisch und raumplanerisch gesehen kann die konsequente und unaufhaltsame Liberalisierung der Märkte tatsächlich dazu führen, dass ein bestimmter Raumtyp verschwindet, dass eine andere Funktion, ein niedrigerer Betrieb, ein anderes Verhältnis zu Raum und Mobilität entsteht. So sind in Graubünden viele Dörfer, die ohnehin schon spärlich bewohnt sind, zu „Strassendörfern“ verkommen. Denn wenn die Post geht, gehen alle anderen Geschäfte auch, die Bank, der Bankomat, die Versicherung, schliesslich bleibt im besten Fall nur das Lädeli, wo die Kassiererin alle Aufgaben bewältigen muss.

 

In Frankreich versuchen Gemeinden in ruralen Gebieten mit sogenannten centres administratifs gegen solche Wüstenbildungen zu wirken, indem sie möglichst viele Dienstleistungen unter einem Dach zusammenfügen und somit das Dorfzentrum wieder zum Leben erwecken. Ein Beispiel für die Schweizer Berggebiete? 

 

Fazit und Schlussfolgerung

Es ist nicht zu leugnen, dass die Digitalisierung die Menschen dazu führt, die Schalterdienste der Post weniger zu beanspruchen und dass die Post darauf reagieren muss. Doch die Post ist und bleibt ein Staatsbetrieb. Service Public sollte ihr Credo sein. Es gibt keinen vernünftigen Grund, sie durch eine Ratingagentur wie Standard & Poors „raten“ zu lassen und ihren Chefs und Verwaltungsräten Flausen in den Kopf zu setzen. Aber es wird gemacht.

 

Heute hinterlässt ein Postbesuch einen ganz anderen Eindruck als ein Besuch bei einem Swisscom-Laden. Wie lange steht man sich im Letzteren die Beine in den Bauch, um ein Handy zu kaufen oder auf einen Funktionsfehler eines Gerätes untersuchen zu lassen,  nachdem man ein Nümmerchen am Eingang gezogen hat? Swisscom-Läden sind gefragt. 

Vielleicht sollte das Dorf nicht mehr um die Post, sondern flächendeckend um den Swisscom-Laden reorganisiert werden? Vielleicht sollte sogar die Post bei Swisscom einziehen? Und wenn wir schon dabei sind, warum nicht Die Post und Swisscom wieder zusammenlegen? Alles schon erlebt.  

 

Virginia Bischof Knutti©25.05.2021

 

 

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