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Green Deal für Graubünden

Ein untauglicher Aktionsplan

Am 9. August 2021 hat die Kantonsregierung mit dem Bericht Aktionsplan Green Deal  für Graubünden (AGD) den Weg aufgezeigt, wie sie gedenkt, bis 2050  das Ziel «Netto Null Treibhausgasemissionen» zu erreichen. 

Der Aktionsplan beinhaltet 27 Massnahmen und soll die Bündner Bevölkerung rund 1,8 Milliarden Franken kosten. Im Gegenzug verspricht er Wertschöpfung neue Arbeitsplätze. 

Doch der Bericht der Zürcher Firma EBP ist nicht über alle Zweifel erhaben. Drei Problemfelder stechen insbesondere ins Auge: das ungünstige Territorialprinzip gekoppelt mit der fraglichen Pro-Kopf-Berechnung der Treibhausgas-Emissionen,  der fehlende Einfluss  der Bündner Regierung auf die Umweltpolitik der Industrie und schliesslich das mangelnde Fachwissen der kantonalen Verwaltung.  

Die ersten zwei Problemfelder benachteiligen den Gebirgskanton gegenüber urbanen Kantonen. Das dritte ist eine Feststellung, die alle westlichen Demokratien prägt.

 

Hauptaussagen des Berichtes

  • Der Gesamtenergieverbrauch im Kanton Graubünden beträgt rund 6400 GWh. 59 % der Energie stammt aus CO2-relevanten Fossilienbrenn- und -treibstoffen. Die Sektoren Gebäude (Haushalte und Dienstleistungen) und Industrie verbrauchen mit rund 2400 GWh bzw. 2300 GWh am meisten Energie (37 bzw. 36 % des Gesamtverbrauchs). Die restlichen 1700 GWh des Gesamtenergieverbrauchs gehen zu Lasten des Verkehrs (25 % ohne Eisenbahn). 
  • Die Treibhausgas-Emissionen (CO2 + andere Treibhausgase) lagen im Jahr 2018 je nach Bilanzierungsmethode zwischen 2,14 und 2,45 Mio. tCO2eq. Die reinen fossilen Emissionen aus CO2 liegen im Kanton Graubünden je nach Berechnungsmethode zwischen 1,34 und 1,64 Mio. t CO2. 
  • Im Jahr 2018 entfallen rund 5 % der schweizweiten Treibhausgas-Emissionen auf den Kanton Graubünden. Dieser Anteil ist deutlich höher als die Bevölkerungszahl im Kanton im Vergleich zur Schweiz (2,4 % im Jahr 2015). Wird der Treibhausgas-Ausstoss pro Einwohner betrachtet, liegt der Ausstoss des Kantons bei rund 11 tCO2eq. Dieser Ausstoss liegt über dem Schweizer Mittel von rund 6 tCO2eq. 
  • In Graubünden wird mit rund 8000 GWh pro Jahr viel Strom produziert. Davon werden 70 % exportiert. In den letzten Jahren ist der Stromverbrauch gestiegen. Gemäss Energiekonzept des Kantons Graubünden kann dies auf die gestiegenen Übernachtungszahlen in Hotels und Parahotellerie und die zunehmende Beschneidung zurückgeführt werden. Im Vergleich zur Schweiz übertrifft der durchschnittliche Stromverbrauch pro Kopf im Kanton Graubünden den Schweizer Schnitt um rund 200 kWh pro Jahr. Dabei ist ein gegensätzlicher Trend sichtbar. Während schweizweit der elektrische Energieverbrauch sinkt, steigt dieser in Graubünden aufgrund der oben genannten Gründe seit 2015 an (1). 

 

Problemfeld Nr. 1: Das Territorialprinzip und die Orientierung-Kopf-Berechnung

 

Das Territorialprinzip ist eine zweischneidige Waffe. Das Prinzip wird schweizweit als sakrosankt betrachtet, weil es meistens in die Hände der Kantone oder kleineren politischen Einheiten spielt und den Bund unter Umständen von gewissen Aufgaben entlastet. In Bezug auf Graubünden fällt mir aber auf, dass wenn das Territorialprinzip zum Einsatz kommt, es stets zum Nachteil des Kantons geschieht, so zum Beispiel in der Sprachenpolitik. 

 

Das Territorialprinzip besagt in diesem Fall, dass jede Nationalsprache mit einem bestimmten Territorium - oder Sprachgebiet - verbunden ist, in dem die jeweilige Sprache angewendet und gefördert wird. Für die romanische Sprache hat sich dieses Prinzip als Sprachfalle erwiesen. Je mehr Gemeinden zum Deutsch überwechseln, desto kleiner wird auch das romanische Sprachgebiet. Hätte man die romanische Sprache wirklich retten, geschweige denn fördern wollen, dann hätte man das Territorialprinzip umgehen müssen, zum Beispiel indem, dass die romanische Sprache über den ganzen Kanton Graubünden angewendet werden dürfte. Stattdessen haben sich die Bundes- und kantonale Politik hinter dem Sprachgesetz und dem Territorialprinzip versteckt und die romanische Sprache verkümmern lassen. 

 

Schlimmer noch, als die Universitäten Zürich und Freiburg je einen Lehrstuhl für die romanische Sprache erhielten, wurde das Territorialprinzip jedoch bewusst umgangen: Man hat beide Lehrstühle im deutschen- bzw. französischen Sprachgebiet angesiedelt, statt im Sprachgebiet der romanischen Sprache. Wie ist das alles zu erklären? Politik eben. Darüber kann man nur den Kopf schütteln. 

 

Im Bereich des Klimaschutzes und insbesondere für die Berechnung der Treibhausgas-Emissionen wird nun das Territorialprinzip wieder zum Nachteil des Kantons Graubünden angewendet. Es besagt in diesem Fall, dass nur die Emissionen, die im Kanton entstehen, ins Emissionskataster aufgenommen werden. Das bedeutet, dass die importierten Emissionen, die zum Beispiel durch den Transitverkehr entstehen, nicht berücksichtigt werden. Das Prinzip gilt zwar für alle Kantone, doch weil die Treibhausgas-Emissionen Pro-Kopf gerechnet werden, werden die Gebirgskantone besonders stark benachteiligt, weil die Emissionen sich auf eine verhältnismässig kleine Bevölkerung verteilen. 

 

Da der Kanton Graubünden eine der  kleinsten Bevölkerungszahl der Schweiz aufweist, verteilen sich die Treibhausgas-Emissionen auf rund 200’000 Einw., die nun für die Emissionen der Industrie, sowie der Touristen  und Durchreisenden aufkommen soll. Das ist nicht nur inakzeptabel, sondern stellt schlimmstenfalls sowohl die wirtschaftliche als auch die politische Existenz des ganzen Kantons in Frage.  

 

Das Territorialprinzip darf hier nicht so eifrig und unkritisch übernommen werden. Es braucht eine andere Berechnungsmethode, die den importieren Treibhausgas-Emissionen besser Rechnung trägt. 

 

Was die Pro-Kopf-Berechnung der Treibhausgas-Emissionen angeht, kann man feststellen, dass auch hier ein mieses Spiel betrieben wird. 

Weder das Bundesamt für Statistik, noch das Bundesamt für Umwelt oder das Bundesamt für Energie führen eine kantonale Statistik über Treibhausgas-Emissionen.

 

Tatsächlich sind die Mittelland-Kantone mit einer grossen urbanen Bevölkerung bevorteilt. Obwohl diese Zahlen mit Vorsicht zu geniessen sind, fallen sie offensichtlich erstaunlich niedrig aus. Das bestätigen einige urbane Kantone, die sich mit einer effizienten Umweltpolitik brüsten - dabei besteht der ganze Trick lediglich darin, dass sich ihre Treibhausgas-Emissionen auf eine grössere Bevölkerung verteilen…  So soll der Kanton Waadt einen CO2-Ausstoss pro Kopf von 4,12 tCO2eq, der Kanton Zürich 4,22 tCO2eq, Basel-Stadt 3,5t CO2eq haben, während der Gebirgs- und Ferienkanton Wallis auf 16 tCO2eq und Graubünden auf 11 tCO2eq kommen. Ich werde den Eindruck nicht los, dass man in dieser Angelegenheit in Bern und woanders die Gebirgskantone nicht für voll nimmt. 

 

Nebenbei gesagt, die Pro-Kopf-Berechnung wird weltweit unkritisch angewendet, um die Treibhausgas-Emissionen zu messen. Dabei handelt es sich nicht bloss um eine neutrale Berechnungsmethode, vielmehr dient es der Schuldzuweisung jedes Staates und am Ende der Kette jedes einzelnen Treibhausgasemittenten. Mit der fortschreitenden Digitalisierung könnte es in einer nicht allzu fernen Zukunft soweit kommen, dass jeder Mensch sein zugerechnetes CO2-Budget auf dem Handy mit fortlaufenden Kontrolle installiert bekommt.

 

Das Territorialprinzip und die Aufteilung der Treibhausgasemissionen auf die ständige Bevölkerung erweisen sich für den Kanton Graubünden als äusserst benachteiligend, ja sogar grenzwertig, was das Überleben des Kantons betrifft. Grund genug für die Kantonsregierung, nicht den Musterschüler zu spielen und abzuwarten, bis der Bund eine Analyse aller Kantone nach gleichen Kriterien durchführen lässt. Erst dann kann eine gerechte Berechnung der Treibhausgas-Emissionen vorgenommen werden. 

 

Problemfeld Nr. 2: Auf die Industrie hat der Kanton Graubünden wenig Einfluss

 

Ich beginne mit der Wasserkraftindustrie. Der Kanton Graubünden ist in der vordergründig günstigen Lage, dass er theoretisch mehr Strom produziert, als er verbrauchen kann (2). Tatsächlich werden 70 % exportiert.  Aber der Eindruck täuscht.

Um künftig die notwendigen nicht-fossilen Energien in den Sektoren Gebäude, Verkehr und Industrie bereitzustellen, ist ein Umbau des bestehenden Energiesystems in Richtung erneuerbare Energien und vor allem einen noch grösseren Wechsel zu Strom nötig. Um diesem Ziel gerecht zu werden, soll nun der Kanton bis 2050 1600 GWh zusätzlichen Strom produzieren, so der EBP-Bericht. 

 

Das sagt sich so leicht, doch es stehen mindestens zwei grosse Hindernisse im Weg: 

 

Erstens sind die Wasserkraftwerke in Graubünden vielfach in ausserkantonalen Händen. Dazu kommt, dass sechs Konzessionen bis 2050 auslaufen werden (3). Damit neue Konzessionen erteilt und die bestehenden Wasserkraftwerke weiter betrieben werden können, muss der Bund Investitionssicherheit gewährleisten. Was ohne Abkommen mit der EU und in einem äusserst volatilen Markt extrem schwierig sein dürfte.  

 

Zweitens: Der Wasserzins ist eine wichtige Einnahmequelle für viele Bündner Gemeinden, aber ein Dorn im Auge der ausserkantonalen Wasserkraftwerke. Die Höhe des Wasserzinses wird aber nicht vom Kanton, sondern vom Bundesrat festgelegt. Derzeit und bis Ende 2024 beträgt er fix Sfr. 110.— pro kW Bruttoleistung. Danach sieht es so aus, als würde er nicht mehr fix, sondern aus einem Mix aus fixen und flexiblen Komponenten berechnet werden (4). Voller Hoffnung für künftig höhere Strompreise, gaukelt man den Gebirgskantonen damit höhere Einkünfte vor. 

 

Somit ist der Handlungsspielraumraum des Kantons Graubünden äusserst bescheiden. Es ist fraglich, ob unter solchen Umständen eine Erhöhung der Stromproduktion überhaupt durchsetzbar wäre. Ich kann nur betonen, dass der Besitz von natürlichen Ressourcen und Rohstoffen sich nur lohnt, wenn man auch die Kontrolle darüber hat. Was das Wasser und den daraus hergestellten Strom angeht, ist das im Kanton Graubünden nur teilweise der Fall. Wie die Studie von Herrn Plot zeigt, sind die Unterland-Kantone Zürich und Aargau die grössten Inhaber von Wasserkraftwerken, nicht die Gebirgskantone. (5)

 

Was die Treibhausgas-Emissionen der Industrie anbelangt, fallen sie laut Bericht der EBP wegen zwei Werken unverhältnismässig hoch aus. Das erste Problem ist das Zementwerk in Untervaz, das der grösste CO2-Emittent des Kantons sein soll. Es gehört dem Konzern Lafarge-Holcim und beschäftig 110 Mitarbeiter. LafargeHolcim stellt Zement und andere Baumaterialien her und hat unter anderem zwischen 2010 und 2016 Beton für den gesamten Ceneri-Basistunnel geliefert. 

 

Das Konzern ist weltweit aktiv und seine Erzeugnisse werden nicht ausschliesslich für den kantonalen Baumarkt hergestellt. Solange die Weltbevölkerung wächst und die weltweite Urbanisierung  zunimmt, werden solche Firmen Zement und Zuschlagstoffe produzieren und wachsen. 

 

Aus eigenen Angaben emittiert LafargeHolcim 561 kg CO2 pro Tonne zementgebundener Materialien. Bis 2030 will der Konzerne seine CO2-Emissionen auf 520 kg pro Tonne reduzieren (6), was eine Verminderung von 40 % gegenüber 1990 entsprechen soll. Das klingt nach einer grossen Leistung, ist es in absoluten Zahlen vermutlich auch, aber das jährlich ausgestossene Volumen an Treibhausgasen kann die kleine, ständige Bevölkerung Graubündens nicht tragen. 

 

Kann der Kanton Graubünden LafargeHolcim in Trimmis zu strengeren Klimaschutzmassnahmen zwingen? Wohl kaum. Die Umweltschutznormen für die Industrie werden nicht durch die Kantone, sondern durch den Bund festgelegt. Also wenn sie sich nicht wehrt, bleibt der Bündner Bevölkerung nur, für den unverhältnismässigen Ausstoss des Zementkonzerns zu zahlen. Oder die Anlage schliessen zu lassen. Das würde bedeuten, dass Graubünden auf die Extraktion und den indirekten Verkauf seines, neben dem Wasser, einzigen Rohstoffes verzichten müsste. Hier zeigt sich wieder unverblümt die Abhängigkeit eines Rohstofflieferanten wie der Kanton Graubünden gegenüber Produzenten und Konsumenten im In- und Ausland. 

Deshalb darf das Territorialprinzip in diesem Fall nicht unkritisch übernommen und angewendet werden. Die Treibhausgas-Emissionen des Zementwerkes dürfen nicht der Bündner Bevölkerung im Pro-Kopf-Verfahren angelastet werden. 

 

Das zweite Problem ist die Kehrrichtsverbrennungsanlage GEVAG in Trimmis. Sie hat 2020 48’446 Tonnen Abfall erhalten. Das entspricht  dem Abfallaufkommen des ganzen Kantons. Neben den Bündner Abfällen wurden auch 16'192 Tonnen ausserkantonale Abfälle in der KVA Trimmis verbrannt. In dieser ausserkantonalen Menge enthalten sind Abfälle aus dem Vorarlberg mit 7'186 Tonnen, aus Italien 6'051 Tonnen sowie aus Süddeutschland 788 Tonnen. Zudem wurden insgesamt 2'166 Tonnen nationale Abfälle im Sinne von Aushilfeleistungen über den Verbund thermischer Verwertungsanlagen Ostschweiz angenommen. (7)

 

Die Kehrrichtsverbrennungsanlage stösst diverse Emissionen wie Staub, SO2, NOx, HCl, NH3 und CO aus. Die Angaben werden im Geschäftsbericht ohne Kommentar gedruckt. All diese Emissionen befinden sich jedoch weit unter dem Grenzwert der schweizerischen Luftreinhalte-Verordnung (8). Trotzdem ist die Anlage die zweitgrösste Treibhausgas-Emittentin des Kantons. Wie ist das zu erklären? Keine Ahnung. Jedenfalls liegt die Kompetenz, Luftreinenormen festzulegen, wiederum nicht beim Kanton, sondern beim Bund. Hier sind also Graubünden einmal mehr die Hände gebunden. 

In diesem Fall auch darf das Territorialprinzip und die  Pro-Kopf-Berechnung der Treibhausgas-Emissionen nicht unkritisch angewendet werden, denn es pönalisiert die ständige Bündner Bevölkerung unverhältnismässig.

 

Problemfeld Nr. 3: Mangelndes Fachwissen bei der Verwaltung

 

Infolge der Globalisierung hat sich in den westlichen sogenannten Demokratien eingebürgert, dass der Staat schlank werden müsse. In Deutschland hat man die „schwarze Null“ eingeführt, in der Schweiz und in anderen europäischen Staaten gilt seit einigen Jahren die Schuldenbremse. Wie wir sehen werden, hat diese Erscheinungsmode nicht nur finanzielle Vorteile. In der Bundesverwaltung und bei den Kantonen hat sie über die Jahre zu einem massiven Fachwissensverlust infolge Pensionierungen und Personalentlassungen und Verschlankung der Strukturen geführt. 

 

Dazu kommt, dass Politiker der eigenen Administration nicht mehr so recht trauen. Denn spricht nicht jeder Beamte primär in eigener Sache? Wer tut das nicht… Jedenfalls muss eine  Studie über jeglicher Voreingenommenheit stehen. Diese holen sich Politiker bzw. Verwaltungen nun bei privaten Beratungsfirmen - nicht selten zu horrenden Kosten, die bekanntlich später in Form von Steuern wieder in die Staatskasse zurückfliessen sollen.

 

Will nun eine Regierung eine Studie zu einem Thema oder zu einer Gesetzgrundlage durchführen, muss sie wegen mangelndem Wissens und Zeit eine private Beratungsfirma damit beauftragen. Und wo holen sich die Beratungsfirmen das nötige Fachwissen, um eine unabhängige Studie zu schreiben? Ironischerweise nicht selten beim Auftraggeber, also bei den Verwaltungen, dessen Fachwissen mittlerweile drastisch gesunken ist. 

 

Beratungsfirmen mögen gescheite Analysen schreiben, doch sie haben mindestens drei Nachteile: Sie kosten dem Steuerzahler viel Geld; sie tragen keine politische Verantwortung  für ihre Ratschläge; sie verlieren vor lauter Argumentation jegliche Sensibilität für die menschlichen Probleme. Die Umsetzung einer Studie einer Beratungsfirma kann unter Umständen dazu führen, dass eine Regierung, wenn sie Aussagen unkritisch übernimmt, sich damit ins eigene Knie schiesst.

 

Fazit und Schlussfolgerungen

Ich wiederhole mich ungern, aber ich möchte meine LeserInnen daran erinnern, dass ich seit vier Jahren im Kanton Graubünden wohne. Ich habe eine umfangreiche Studie darüber geschriebenen und 2011 publiziert (9), die mich dazu veranlasst hat, heute noch den Kanton kreuz und quer zu bereisen. Es gibt kaum eine Ecke, wo Menschen sich aufhalten können, die ich nicht besucht habe. Mein erster und bleibender Eindruck ist, dass es kaum ein Fleck in der Schweiz gibt, der grüner ist als Graubünden, sodass der Kanton eigentlich Grünbünden heissen sollte. Dass ein paar Industrieanlagen im Rheintal das Gesicht des schönen Ferienkantons verunstalten und die Luft verunreinigen, weiss doch jeder. Doch nun soll die wenige Industrie, die wir haben, die grösste CO2-Emittentin sein, wofür die Bündner Bevölkerung nun zur Kasse geben wird! Doch auch in Graubünden kann man nicht allein von Wasser und Luft leben. 

Gegen Ökologie haben wir in Graubünden nichts einzuwenden, wage ich zu behaupten. Doch mit Ökologie hat der Aktionsplan Green Deal Graubünden nicht mehr viel zu tun. Er treibt Graubünden in Richtung Ökologismus, zu einer Ideologie, die weltweit Oberhand gewinnt und sich von Schuldzuweisungen an den Einzelnen nährt.

Zwischen den Zeilen wird auch ersichtlich, dass über Rohstoffe und eine schöne Natur zu verfügen, kein Vorteil ist, wenn man die Kontrolle darüber nicht hat. Das ist der Fall des Kantons Graubünden und wahrscheinlich auch aller Gebirgskantone. 

Die unverhältnismässige Präsenz von treibhausgas-emittierender Industrie, die strategisch wichtige Durchgangsfunktion für den Strassenverkehr, die fehlende Kontrolle über die Herstellung und den Export von Strom, der gesteigerte Stromkonsum in der Hotellerie und Parahotellerie, das alles lastet auf der verhältnismässig kleinen Bevölkerungszahl des Kantons Graubünden in Form von Treibhausgas-Emissionen. Auf das höchst ungünstige und ungerechte Verhältnis wird aber im Bericht der Zürcher Firma EBP keine Rücksicht genommen. Daher taugt dieser Bericht als Basis für die Finanzierung der Netto-Null-Treibhausgasemissionen bis 2050 überhaupt nicht: Das Territorialprinzip und die Pro-Kopf-Berechnung der Treibhausgase-Emissionen sind höchst problematische Berechnungsfaktoren, wie überhaupt die Treibhausgas-Emissionen selber, die je nach Kanton anders berechnet werden, sodass der Bund überhaupt keinen auf einer einheitlichen Basis ruhenden Überblick verfügt.

Wie im Fall des gescheiterten CO2-Gesetzes soll der Bund nun nochmals über die Bücher. Bern wäre gut beraten, in einer ersten Phase eine Analyse bei allen Kantonen einzufordern, die auf der gleichen, vorgegebenen Rechnungsbasis der Treibhausgase-Emissionen beruht, um Klarheit darüber zu schaffen. In einer zweiten Phase sollte der Bund eine Aufteilung der Treibhausgas-Emissionen auf die Kantone anwenden, die in Graubünden den Tourismus- und  den Verkehrsströmen Rechnung trägt und nicht allein der ständigen Bevölkerung angelastet wird. Gleichzeitig soll der Bund der stark treibhausgasemittierenden Industrie strengere Klimaschutz-Auflagen auferlegen. 

Bis dahin soll sich die Bündner Politik vom Bericht der EBP distanzieren und abwarten, bis der Bund uns eine vernünftige Lösung bieten kann.

 

 

Virginia Bischof Knutti©31.08.2021

 

Quellen:

  1. Amt für Natur und Umwelt Graubünden und EBP, Aktionsplan Green Deal für Graubünden - Massnahmen zu Klimaschutz und Klimaanpassung, 01.06.2021, https://klimawandel.gr.ch/de/KW_Dokumente/AGD-BerichtAktionsplan.pdf.
  2. Produktion: 7000 GWh - Verbrauch 6’400 GWh = Überschuss von 1600 GWh pro Jahr (Anm. der Autorin). 
  3. Es handelt sich um Zervreila/Rothenbrunnen, Albigna, Hinterrhein, Tavanasa/Vorderrhein, Pradella/Engadin und Zervraila, Michel Piot, Wem gehört die Schweizer Wasserkraft? Methodik und Resultate, «Wasser Energie Luft» , 111. Jahrgang, 2019, Heft 1, Baden,  https://www.swv.ch/wp-content/uploads/2019/03/WEL_1_2019_Wem_gehört_die_Schweizer_Wsasserkraft.pdf.
  4. Bundesamt für Energie, Eckwerte für ein mögliches flexibles Wasserzinsmaximum - Bericht zuhanden der UREK-N, Bern, 14.12.2018,https://www.bfe.admin.ch/bfe/de/home/versorgung/erneuerbare-energien/wasserkraft/wasserzins.html.
  5. Ibid.
  6. LafargeHolcim, Integrierter Geschäftsbericht 2019, S. 42, https://www.holcim.com/sites/holcim/files/atoms/files/02272020-finance-lafageholcim_fy_2019_report-de_133541876.pdf.
  7. GEVAG, Gemeindeverband für Abfallentsorgung, 45. Geschäftsbericht 2020, S. 8, https://gevag.ch/wp-content/uploads/2021/06/GB_GEVAG_2020_ES.pdf.
  8. Ibid, S. 17.
  9. Virginia Bischof Knutti, Der Kanton Graubünden - Eine geopolitische Analyse, Somedia Buchverlag, Chur, 2011. 

 

 

 

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