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Holz - Ein von Natur aus strategischer Rohstoff - Teil 1

Anfang Dezember 2021 war in der Bündner Presse zu lesen, dass ab Winter 2023 auf dem Areal der Sursetter Gemeindesägerei in Tinizong  die grösste Sägerei der Schweiz entstehen soll. Das ist das Ziel des Projektes „resurses 2025“ unter der Leitung der Savogniner Firma Uffer  AG. 

Erinnern wir uns: Zehn Jahre zuvor deponierte die damals grösste Sägerei der Schweiz, die auf dem Industrieareal bei Domat/Ems  tätig war, die Bilanz. Eine Immobilienfirma hat unterdessen das Land der ehemaligen Sägerei gekauft  und will dort vier exportorientierte Unternehmen ansiedeln, die Hightech-Produkte herstellen. 

Man kann sich mit Fug und Recht fragen, weshalb nun in Tinizong gelingen soll, was in Domat/Ems kläglich scheiterte. Untersucht man die Meldung und die Vorgeschichte unter geopolitischen Aspekten, stellt sich heraus, dass  in den letzten zehn Jahren und insbesondere seit dem  Ausbruch der Coronapandemie 2019 ein neues Verständnis für den Wert von Rohstoffen entstanden ist. Man hat begriffen, dass viele Rohstoffe nicht erneuerbar und daher kostbarer sind als bisher angenommen. In Graubünden wächst gleichzeitig die Erkenntnis, dass man sich nun als Rohstofflieferant im Markt neu positionieren muss, wenn man nicht untergehen will.  

Ich möchte in diesem ersten Teil meiner Analyse den Sinn für den strategischen Wert der Rohstoffe im Allgemeinen schärfen.  Im zweiten Teil folgt eine kritische Auseinandersetzung mit der „Ressourcenpolitik Holz 2030“ des Bundes mit Schlussfolgerungen für den Kanton Graubünden. 

 

 

 

Definitionen

Rohstoffe und Ressourcen werden vielfach gleichbedeutend verwendet. Es gibt jedoch einen Unterschied, den ich kurz hervorheben möchte. In dieser Analyse geht es jedoch fast ausschliesslich um Rohstoffe.

  • Was sind Rohstoffe? Man kann die Rohstoffe in drei Hauptgruppen einteilen: 
  1. Primär- und Sekundärrohstoffe, wobei der erste Begriff sich auf unverarbeitete Erzeugnisse bezieht, während Sekundärrohstoffe aus Abfällen oder Produktionsrückständen gewonnen werden. 
  2. Erneuerbar (z.B. Wasser) und nicht erneuerbare (z.B. Erdöl), wobei bei den nicht erneuerbaren Rohstoffen in geologischen, und nicht in menschlichen Zeitdimensionen gerechnet wird. 
  3. Verschiedene Rohstoffarten, wobei hier drei Hauptarten unterschieden werden:  land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse, Erze und Energie.
  • Was sind Ressourcen? Das sind Mittel, die einem Verarbeitungsprozess unterzogen werden. Im volkswirtschaftlichen Sinne können Ressourcen materieller (z.B. Sachgüter) oder immaterieller Art (z.B. Dienstleistungen) sein. Im umweltwissenschaftlichen Kontext ist mit „Ressource“ stets eine natürliche Ressource gemeint. 
  • Was ist strategisch? In der Militärfachsprache hat ein Objekt, eine Anlage oder ein Geländeteil strategische Bedeutung, wenn dessen Kontrolle für das Kriegsziel entscheidend ist. Auf den Kanton Graubünden umgemünzt kann diese Einsicht eine geopolitische Anwendung finden, wenn die Kontrolle eines heimischen Rohstoffes eine höhere wirtschaftliche Autonomie gegenüber Bundesbern oder anderen Kantonen anstrebt.   

 

Wo befinden sich Rohstoffe?

Rohstoffe sind seit jeher ein, wenn nicht der wesentlichste Faktor für die Entwicklung einer Gesellschaft, denn  Nahrungsmittel, natürliche Ressourcen und Energie sind für das Leben unentbehrlich. Rohstoffe sind auch die Grundlage jeglicher Schaffung von Wohlstand. Deshalb sind sie von jeher von Interesse für die Mächte, für die sie ein unbestreitbares Kontroll- und Herrschaftsinstrument darstellen. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass die strategischsten Rohstoffe immer diejenigen waren, die den Krieg „ermöglichten“, so z.B. Eisenerz oder Erdöl.

 

Jedes Land besitzt Rohstoffe, doch bis anhin standen vor allem die energetischen Rohstoffe wie Erdöl und Gas im Zentrum der Aufmerksamkeit. Mit der Energiewende ändert sich das allmählich und es rücken zunehmend nicht fossile und erneuerbare Energieformen in den Vordergrund. In der heutigen Presse finden aber dennoch Erdöl- und Erdgaslieferanten grosse Resonanz wie Russland oder Saudi-Arabien. Daneben treten Indonesien oder Brasilien als Palmöl- bzw. Sojalieferanten immer öfter in den Vordergrund. In beiden Fällen wird man den Eindruck nicht los, dass der Begriff „Lieferant“ zu einem Schimpfwort verkommen ist. Das hat System. Ich komme im nächsten Kapitel darauf zurück. 

 

Der Atlas mondial des matières premières hat acht geostrategische Knotenpunkte identifiziert, in denen die meist begehrten Rohstoffe konzentriert sind:  Es handelt sich um Zentralasien, den Kaukasus, das Horn von Afrika, den Golf von Guinea, das Rechteck Venezuela-Kolumbien-Ecuador-Bolivien, die Arktis und Sibirien. (1) An diesen acht geostrategischen Knotenpunkten entladen sich die Begehrlichkeiten der anderen Staaten, allen voran die um die Weltherrschaft konkurrierenden Supermächte USA und China.

 

Fluch oder Segen?

Der Besitz von Rohstoffen verschafft einem Staat grundsätzlich einen komparativen Vorteil. Doch während sich einige rohstoffreiche Staaten im 19. bzw. 20. Jh. rasch entwickeln konnten wie die europäischen Kohleregionen, die damalige UdSSR, die Vereinigten Staaten, Kanada oder die ölfördernden Länder des Nahen Ostens, verschlechterte sich die Situation in den 1970-80er Jahren in anderen Staaten wie Mexiko sowie in zahlreichen afrikanischen Staaten. Manche Beobachter sprechen von einem Fluch der Rohstoffe, angeblich weil sie ein Hindernis für die Entwicklung sein sollen. 

 

Wie gesagt, die Unterdrückung von rohstoffreichen Staaten hat System. Dafür möchte ich zwei Beispiele hervorheben: 

 

  1. Die sogenannte „holländische Krankheit“: Die Bezeichnung geht auf ein Phänomen zurück, das in den Niederlanden in den 1960er Jahren beobachtet wurde. Infolge der Entdeckung und Ausbeutung von Erdgasvorkommen in der Nordsee kam es zu einer Schrumpfung des industriellen Sektors. Hauptursache waren die durch das Erdgasgeschäft entstandenen Aussenhandelsüberschüsse, die zu einer Aufwertung des holländischen Gulden und somit zu einer Verschlechterung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Niederlande führten. Die Krankheit lässt sich laut Ökonomen verhindern, wenn die (meist in US Dollar) Einnahmen nicht im Inland, sondern im Ausland investiert werden. Das ist auch die bevorzugte Lösung Norwegens, das seine Einnahmen aus der Ölindustrie in einen Fonds bestehend aus ausländischen Aktien, Obligationen und Immobilien, anlegt. 
  2. Das Abhängigkeitsverhältnis aufrechterhalten:  Es sind nicht wenige, die Staaten, die noch immer grösstenteils von der Ausbeutung von Rohstoffen abhängig sind, was ihre Exporteinnahmen und die Finanzierung ihrer Staatshaushalte betrifft. Dies gilt nach wie vor für die meisten Länder Afrikas und des Nahen Ostens, ganze Teile Lateinamerikas und Zentralasiens sowie die sogenannten Schwellenländer wie Russland, Südafrika oder Brasilien. Viele von ihnen wurden kolonisiert. Und obwohl sie ab den 1960er Jahren in die Unabhängigkeit entlassen wurden und sie theoretisch die Hoheit über die eigenen Rohstoffe zurückerlangen konnten, haben viele von ihnen den Weg aus der Armut nicht gefunden. Ihnen wird Korruption und hohe Verschuldung vorgeworfen. Das mag ein Stück weit stimmen, doch der Kausalzusammenhang wird in der Debatte völlig ausgeblendet. In Wahrheit werden die Rohstoffpreise absichtlich tief gehalten, während die Preise für hochbegehrte Fertigprodukte steigen. Man kann es wenden und drehen, wie man will, am Ende herrscht der Eindruck, dass wir es hier mit einer Form von Neokolonialismus zu tun haben. 

In beiden Fällen wird also mit Rhetorik bzw. mit Marktmanipulation versucht, die Rohstoffpreise nach unten zu drücken. Der Grund ist simpel: Jedes Konsumgut wird aus mindestens einem Rohstoff gewonnen. Dabei ist es für ein Unternehmen eminent wichtig, dass die Gewinnmarge innerhalb bzw. an der Spitze der Wertschöpfungskette möglichst hoch ist. Das setzt voraus, dass der Rohstoffpreis am Anfang der Wertschöpfungskette, da wo die schwach organisierten Produzenten liegen, entsprechend tief sein muss. Dieser Mechanismus ist der kapitalistischen Weltordnung inhärent und er findet auf allen geografischen Ebenen statt: zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, aber auch innerhalb von Ländern, denn der Kapitalismus nährt sich von Wertunterschieden in den Löhnen und in den Preisen.

 

 

Wie funktioniert der Rohstoffmarkt?

Die Rohstoffe machen schätzungsweise einen Drittel des Welthandels aus. Zählt man die Gebrauchsgüter dazu (sogenannte Commodities), liegen wir schon über der Hälfte. (2) Das weckt Begehrlichkeiten. 

 

Idealerweise ermöglicht die Gegenüberstellung von Angebot und Nachfrage theoretisch die Festsetzung eines Preises. In diesem Sinne wären die Rohstoffe ein Gut wie jedes andere. Dass dieser Mechanismus nicht einwandfrei funktioniert, wird vielfach der öffentlichen Hand angelastet, der vorgeworfen wird, in den Markt zu intervenieren. Das mag in einzelnen Fällen so sein, doch die Realität ist wiederum komplexer. 

 

Tatsächlich wird der grösste Teil des Handels freihändig zwischen Erzeugern und Händlern und anschliessend zwischen Händlern und Verbrauchern abgewickelt. Lediglich Überangebote oder nicht erfüllte Nachfragen finden sich auf den Finanzmärkten wieder. Sie veranschaulichen somit die Ungleichgewichte zu einem bestimmten Zeitpunkt, was die Bedeutung der Spekulation hervorhebt. Zudem ist es kein Zufall, wenn die ersten Rohstoffbörsen in der Kolonialmacht England und später in den über den Weltmeeren herrschenden USA entstanden sind. Mittlerweile haben beide Konkurrenz vom aufstrebenden Asien bekommen. Die 10 grössten Rohstoffbörsen der Welt sind nun je zur Hälfte in der westlichen Welt und in Asien angesiedelt. 

 

Tabelle: Die weltweit 10 grössten Rohstoffbörsen

 

185
Rang Börse Staat

Umsatz Mio.

USDollar

1 CME Chicago-New York  USA

1'179

2 Shanghai Future Exchanges China

1'175

3 Dalian Commodity Exchange China 

982

4 Zhengzhou Commodity Exchange China

818

5 ICE Futures Europe (London) Grossbritannien

493

6 MOEX Moscow Exchange Russland

478

7 Ice Futures US Atlanta USA

288

8 MCX India Multi Commodity Exchange of India Indien

230

 9 LME London Metal Exchange Grossbritannien  
10 Borsa Istanbul Türkei 22

Quelle: Nach Bernadette Mérenne-Schoumaker, Atlas mondial des matières premières, Editions Autrement, Paris, 2020, S. 56-57. 

An welcher dieser Börsen wird Holz gehandelt? Da Forstwirtschaft vielfach mit Landwirtschaft assoziiert wird, wird Holz an diesen fünf Hauptbörsen gehandelt, die sich die Güter wie folgt untereinander aufteilen: 

  1. Dalian Commmodity Echange (26,5 % des weltweiten Volumen)
  2. ICE Future Exchange (25 %)
  3. CME Chicago-New York (19,9 %)
  4. Zhengzhou Commodity Echange (19,3 %)
  5. Andere Märkte (5 %)
  6. ICE Futures US (4,6 %) (3)

Bekanntlich ist die Schweiz arm an energetischen Rohstoffen. Dieser Nachteil hat sie möglicherweise früh in ihrer Geschichte dazu bewegt, sich in eine Drehscheibe für Rohstoffe zu mausern, dessen Bedeutung in den letzten 20 Jahren markant zugenommen hat. 

 

Die Schweiz ist jedoch keine Rohstoffbörse, sondern ein Handelsplatz. Das bedeutet, dass die Rohstoffe hierzulande over the Counter gehandelt werden. Im Jahre 2018 waren die sieben grössten Schweizer Rohstoffhändler folgende: Glencore International AG, Vitol S.A., Trafigura, Cargill International S.A., Mercuria Energy Trading S.A., Gunvor S.A. und BHP Billiton Group. Vier von ihnen operieren ab dem Kanton Genf, zwei ab Zug und einer ab Luzern. Diese sieben Unternehmen haben auch gemeinsam, dass sie sich, gemessen am Umsatz, unter den grössten Schweizer Unternehmen befinden. So haben sie 2018 einen Umsatz von 842 Mrd. Franken erwirtschaftet. (4)  Wäre sie eine Börse, würde die Schweiz somit weltweit an 5. Stelle rangieren. Dieses „Gewicht“ ist für die Schweiz allerdings sehr relativ, da es sich um private und meist ausländische Unternehmen handelt, die ihre eigenen Interessen verfolgen.  

 

2011 entfielen rund 60 % auf den Handel mit Energierohstoffen, 20 % auf Metalle und Mineralien und etwa 15 % auf land- und forstwirtschaftliche Produkte. Unter Letzteren befinden sich Kaffee (60 % der weltweiten Volumenanteil), Zucker (50 %) und Getreide (35 %) (5). Holz wird explizit nicht erwähnt, man darf aber aufgrund der weltweiten Versorgungslage davon ausgehen, dass der Handelsvolumen für Holz auch in der Schweiz steigen wird und die Preise ebenso.  

 

 

Die zunehmende Rolle der Spekulation

Produktionsschwankungen in der Landwirtschaft sind meist auf geologische, klimatische, politische, wirtschaftliche oder sonstige Unwägbarkeiten zurückzuführen. Daraus ergeben sich Preisschwankungen, die man ein Stück weit auch in Kauf nehmen kann. Doch aufgrund mangelnder Transparenz und zunehmender Spekulation gelten die Rohstoffmärkte vermehrt als anrüchig. Wie kam es dazu?

 

Seit Beginn der 1980er Jahre ist eine starke Zunahme von Derivaten oder Finanzinstrumenten zu beobachten, deren Wert sich nach dem Preis von Rohstoffen wie z.B. Erdöl oder Soja richtet. Derivate reagieren sehr empfindlich auf erwiesene Missstände oder auf Gerüchte, geschweige denn auf Marktmanipulationen. Je höher die Volatilität, desto grösser sind die Gewinnaussichten, aber auch die Verlustrisiken.

 

Da ein zunehmender Teil des Handels over the Counter stattfindet, wird die Information über die Lagerbestände oder den Zustand der Vorräte und Erzeugnisse in wenigen Händen konzentriert. Dieser Mangel an Transparenz begünstigt die Spekulation und fördert sogar die Organisation der Knappheit in bestimmten Märkten.

 

In den letzten zwei Jahren ist der Holzpreis massiv gestiegen. Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Ungeachtet davon ist es interessant, das Ausmass des Preisanstiegs zu beobachten: „Zahlte man im April/Mai 2020 an der US-Rohstoffbörse CME noch für einen Kubikmeter Bauholz 250 US-Dollar, vervierfachte sich der Preis in den fünf Monaten darauf auf etwa 1000 US-Dollar (914 Fr.). Im Mai dieses Jahres dann erreichte er seinen absoluten Höhepunkt bei annähernd 1750 US-Dollar (1600 Fr) pro Kubikmeter, danach ging es allerdings wieder deutlich abwärts“, so die Zeitung Schweizer Bauer vom 16.08.2021. (6)

 

Zur Entwicklung des Holzpreises komme ich im Teil 2 zurück. Für die Rohstoffe im Allgemeinen jedoch und angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung einer zunehmenden Zahl von Ländern ist damit zu rechnen, dass Preiserhöhungen sich durch steigende Bedürfnisse und steigende Nachfrage noch verstärken werden. Ebenso die Strategien der Akteure, ob staatlich, privat oder kriminell.

 

Das führt zur Einsicht, dass die Rohstoffe von Natur aus strategisch sind. Und das schliesst Holz ein. 

 

 

Rohstoffe - von Natur aus strategisch

Hier müssen wir nach der Art der Rohstoffe unterscheiden. Daher ergibt sich eine Steigerung des strategischen Wertes und folglich der zu erwartenden Preisentwicklung.

Landwirtschaftliche Produkte sind zwar seit jeher Wetterkapriolen und abnehmenden Erträgen für den Produzenten ausgesetzt, aber sie sind erneuerbar und weltweit besser verteilt als andere Erzeugnisse, da sie angebaut werden können. Das drückt auf den Preis. Der Klimawandel führt jedoch kurzfristig dazu, dass landwirtschaftliche Erzeugnisse zunehmend eine strategische Dimension erhalten. Tatsächlich  führen Naturkatastrophen oder Dürreperioden zu einer konjunkturellen Verknappung bestimmter Ressourcen und verstärken den Preisanstieg. Längerfristig könnte der Klimawandel auch die Verteilung der Agrarproduktion verändern. Das bedeutet, dass einige Regionen könnten veröden, während andere Gebiete landwirtschaftlich genutzt werden könnten. Kommt dazu, dass der zunehmende Anbau von Futtermitteln eine Verknappung der Fläche für Nahrungsmittel impliziert, ein Phänomen, das sich in der nahen Zukunft verstärken dürfte. Das alles wird zu einem Preisanstieg der landwirtschaftlichen Produkte führen. Die Frage bleibt jedoch, ob die Produzenten, am Anfang der Wertschöpfungskette, ihren Anteil bekommen werden. 

 

Metalle sind nicht erneuerbar. Das verleiht ihnen einen grossen strategischen Wert. Doch auch wenn die Gewinnung und der Zugang zu den Rohstoffen schwieriger wird, werden die damit hergestellten Produkte bei ihrer Verwendung nicht zwingend vernichtet und können daher wieder in den Güterkreislauf eingeführt werden. Die kostspielige Verbesserung der Sammel- und Recyclingtechniken wird zu einer echten strategischen Herausforderung, um die Abhängigkeit von Importen zu verringern. Verknappung und Recyclingkosten dürfte daher den Preis für Metalle künftig anheizen. 

 

Noch kritischer ist die Situation bei den energetischen Rohstoffen wie Erdöl und Erdgas. Diese Produkte werden immer knapper und teurer, einerseits aufgrund der anhaltenden grossen Nachfrage in den USA oder in China, andererseits weil die Produzenten im Hinblick auf die Energiewende nicht mehr in die Erschliessung von neuen Lagern investieren dürften. Die strategische Dimension von Erdöl und Erdgas wird noch durch ein weiteres Merkmal verstärkt: die starke Konzentration der Lagerstätten auf bestimmte Regionen oder auf wenige Länder, die ideologisch bekämpft werden wie Russland, allenfalls Saudi-Arabien. Zur Versorgungsproblematik kommt auch die Transportproblematik dazu, da der Transit durch manche Länder (z.B. Ukraine oder Weissrussland) oder unter dem Meer sich als äusserst unsicher (z.B. Nord Stream 2) erweisen kann. Ob die Erschliessung von erneuerbarer Energie den rasant zunehmenden Energiekonsum decken kann, wird sich weisen. Doch bis es so weit ist, müssen wir in der Schweiz und in Europa wohl mit hohen Strompreisen und Versorgungsengpässen rechnen. 

 

Holz, das zum Heizen, zum Bauen und zur Herstellung von Papier verwendet wird, ist in der Weltwirtschaft ebenso von zentraler Bedeutung wie im täglichen Leben. Während 80% des weltweit geernteten Holzes vor Ort als Feuerholz konsumiert wird, beläuft sich der internationale Handel auf mehr als 250 Milliarden Dollar, den illegalen Handel nicht mit eingerechnet. (7) Holz steht daher im Mittelpunkt wichtiger gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Herausforderungen, da die Energiequelle nur dann erneuerbar ist, wenn sie nachhaltig bewirtschaftet wird. Eine Studie der Credit Suisse bezeichnet das 21. Jh. als Jahrhundert des Holzes. (8)

 

Fazit und Schlossfolgerung

Die globale Entwicklung eines rohstoffreichen Staates, aber auch seine internationale Stärke, hängen nicht nur mit der Bewirtschaftung seiner Rohstoffen zusammen, sondern auch mit deren Kontrolle. Die strategische Dimension der Rohstoffe führt somit zu einem mehr oder weniger subtilen Spiel der Einflussnahme, aber auch zu einem Kampf zwischen den Staaten um die Kontrolle der Rohstoffen und Lagerstätten  sowie um die Versorgungssicherheit. Paradoxerweise haben die wirtschaftliche Öffnung und der technische Fortschritt dieses Phänomen noch verstärkt, da die Weltbevölkerung unaufhörlich wächst und die neuen Produktions- und Verbrauchsmöglichkeiten den Bedarf vervielfacht und diversifiziert haben.

 

Die wenigsten Staaten sind in der Lage, gleichzeitig Rohstoffe zu besitzen und zu kontrollieren und folglich ihren Preis weitgehend mitzubestimmen, wenn nicht zu beeinflussen. Mit schwindenden Rohstoffen wird der Kampf immer heftiger. Um eine angemessene Kontrolle über die eigenen Rohstoffe auszuüben, braucht es Entschlossenheit, strategisches Denken und Investitionen.   

 

Graubünden besitzt drei Rohstoffe in rauen Mengen: Wasser, Holz und Kies, deren strategischer Wert bisher weitgehend unterbewertet geblieben bzw. deren Schöpfung dem Kanton grösstenteils abhanden gekommen ist. An Gründen dafür fehlt es nicht: mangelnde Finanzmittel, wirtschaftliche Abhängigkeit gegenüber Bundesbern und manchen Unterlandkantonen sind die nahe liegendsten. Als Konsequenz davon ist die Kontrolle über das Wasser als Stromlieferant seit Mitte des 20. Jh. ins Unterland abgewandert, nämlich zu den Kantonen am unteren Lauf der Gewässer. Zudem wird der Preis für den Wasserzins aufgrund des Bundesgesetzes über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte von Bundesbern festgelegt. Während der Abbau von Kies durch kantonale Konzessionen in privaten Händen liegt. 

 

Mit der Absicht, die künftig heimfallenden Wasserwerke zurückzukaufen, setzt die Bündner Kantonsregierung ein Zeichen, indem sie eine partielle Kontrolle über diesen strategischen Rohstoff zurückzuerlangen versucht. Über die Kiesvorkommen sprechen wir ein anderes Mal. 

 

Bezüglich des Holzes kommt es nun darauf an, diesem bisher vernachlässigten und unterbewerteten Rohstoff seinen strategischen Wert anzuerkennen, ihn in finanziellen Wert zu setzen, will heissen, eine  Wertschöpfungskette darum herum zu kreieren und die Einnahmen so diversifiziert wie möglich in die wirtschaftliche Entwicklung des Kantons einfliessen zu lassen. Mehr darüber im Teil 2. 

 

Virginia Bischof Knutti©11.01.2022

 

Quellen:

  1. Bernadette Mérenne-Schoumaker, Atlas mondial des matières premières, Editions Autrement, 3. Auflage, Paris, 2020, S. 68.
  2. Ibid, S. 6.
  3. Ibid, S. 56-67.
  4. Dun & Bradstreet, Top 500 - Die grössten Unternehmen der Schweiz, https://www.dnb.com/de-ch/top-listen/, gesichtet am 04.01.2022.
  5. Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA, Grundlagenbericht Rohstoffe, 27.03.2013, S. 7., https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/30133.pdf.
  6. Schweizer Bauer, 16.08.2021, https://www.schweizerbauer.ch/pflanzen/wald/steigende-holzpreise-gehen-an-waldbesitzer-vorbei/.
  7. Bernadette Mérenne-Schoumaker, Atlas mondial des matières premières, Editions Autrement, 3. Auflage, Paris, 2020, S. 32.
  8. Credit Suisse, Die grüne Zukunft der Immobilienbranche. Nachhaltigkeit neu gedacht, 04.11.2021, https://www.credit-suisse.com/ch/de/articles/private-banking/die-gruene-zukunft-der-immobilienbranche-nachhaltigkeit-neu-gedacht-202110.html?int_cmp=logout_PB-DB_3_Content_Mortgage.

 

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