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Wie Kriege die Welt verändern

Vier Monate nach seinem Ausbruch ist der Krieg in der Ukraine noch immer geografisch beschränkt, insofern dass er vor allem den südöstlichen Teil der Ukraine betrifft. Wenn ein nuklearer Krieg uns erspart bleibt oder wenn Provokationen aus dem westlichen Lager nicht mehr Öl ins Feuer giessen wie die partielle Blockade von Kaliningrad durch Litauen, könnte dieser Krieg geografisch beschränkt bleiben. Was die Dauer des Krieges angeht, so entscheiden nicht primär die Beteiligten, wie lange das Leiden noch andauern wird, sondern zynische Strippenzieher von aussen, die mehr Interesse am Chaos als am Frieden haben. 

 

Über die Zeit danach wird wenig diskutiert. Mich beschäftigt das am meisten. Was als „Operation“ angefangen hat, könnte sich in eine Zäsur umwandeln und die Welt für lange Zeit verändern. Darin hat uns die Geschichte schon belehrt. Das 20. Jahrhundert wurde von Historikern als Zeitalter des totalen Krieges erachtet. 

 

Total, zuerst wegen seiner räumlichen Dimension, die direkt oder indirekt alle Kontinente erfasste. Total, weil keine Kriegsziele definiert waren, sodass sich der Krieg bis zur Erschöpfung hinzog. Total, weil nicht nur die kombattanten Truppen, sondern auch die Zivilbevölkerung einbezogen wurde - als ArbeiterInnen in Waffenfabriken, aber auch als Opfer. Total, weil die neuen Waffen und Waffensysteme einen immer grösseren Wirkungsradius erreichten und mehr Zivilisten als Militärs trafen. Total, weil die Waffenproduktion Prozessbeschleunigungen und Innovation das wirtschaftliche Management revolutionierte, sodass Zeit in Geld umgewandelt und der Mensch immer teurer und daher überflüssiger wurde. Aber die beiden Weltkriege waren auch total, weil sie demokratisch waren, demokratisch in dem Sinne, dass sie von einer breiten Schicht der Bevölkerung getragen wurden, zumindest am Anfang. 

 

Wie steht es heute? Wie total und demokratisch ist der Krieg in der Ukraine? Inwiefern tragen die (sozialen) Medien und jedermann dazu bei, diesen Krieg zu verlängern und zu intensivieren, indem immer mehr Waffen und Waffensysteme an die Ukraine geliefert werden? Indem Russophobie den Antisemitismus ersetzt hat und ein ganzes Volk dämonisiert wird? Indem die europäische Bevölkerung als Geisel der geopolitischen Auseinandersetzung zwischen Russland und USA gehandelt wird? Indem Nachwirkungen des Krieges auf uns alle warten, die viele in Friedenszeiten scheinbar unlösbare Probleme wie von Zauberhand regeln?  

 

Wir müssen uns also nicht wundern, wenn Dinge über unseren Kopf entschieden werden, die uns jetzt als „gerecht“ und „den Preis wert“ erscheinen, uns jedoch in einen „Reset“ führen. 

 

Darauf besessen, den Kreml zu ersticken, konnte Brüssel kaum abwarten, auf russisches Gas und Erdöl zu verzichten und hat sich einmal mehr in Richtung Westen gedreht und sich die Lösung von dort erhofft. Das Problem ist, dass die USA das entstandene Energiemanko nicht von heute auf morgen kompensieren können. Und die anderen grossen Öl- bzw. Gaslieferanten (Saudi-Arabien, Qatar, Ägypten, Aserbaidschan) sind an festen, langfristigen Verträgen mit China und anderen asiatischen Ländern gebunden. So geht Europa leer aus und zahlt an der Tanksäule für die Inkompetenz seiner Staatschefs und für seine Treuepflicht gegenüber den USA. Indessen reibt man sich in Washington die Hände.

 

Als ich „Der Kanton Graubünden - Eine geopolitische Analyse“ 2019 schrieb, war noch die 2000-Watt-Gesellschaft en vogue als  Thema. Und ich wunderte mich damals, wie der Staat den dabei erforderlichen Verzicht bewerkstelligen möge. Die Antwort liegt nun vor uns: Was der Frieden nicht kann, kann der Krieg. Krieg und Kriegswirtschaft können jeden Verzicht rechtfertigen. Und die Medien sorgen dafür, dass die Bevölkerung in dem Sinne beeinflusst, ja notfalls „diszipliniert“ wird. Alles schon erlebt. Vielleicht erinnern sich die älteren Semester unter Ihnen an die „Geistige Landesverteidigung“, die vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs dekretiert wurde und weit bis in die 1970er Jahre das Land fest im Griff hielt.  

 

Eine andere dauerhafte Nachwirkung des Krieges in der Ukraine wird vermutlich, was ich die „gentechnologische Wende“ nenne, sein. Wie für die Energie frage ich mich seit Langem, wie man Menschen vor allem in den Industrieländern dazu bringt, weniger Fleisch und mehr Gemüse zu essen. Oder weniger von allem. Eine Lösung liegt auf der Hand: Indem Fleisch so verteuert wird, dass nur noch die wenigsten es sich leisten können. Aber haben wir überhaupt genug Gemüse und Getreide als Kompensation? Wenn wir sehen, was der Krieg in der Ukraine für Versorgungsprobleme auslöst, dann liegt die Antwort auf der Hand. Entweder haben wir tatsächlich zu wenig Getreide oder die Sache wird absichtlich vertuscht. 

 

Jedenfalls wird es sehr schwierig sein, schon wegen der Wasserknappheit, mehr Boden für die Produktion von Pflanzen zu gewinnen. Die wachsende Nachfrage müsste also mit grösseren Erträgen aufgefangen werden. Und das ist in der aktuellen Begeisterung für neue Technologien nur möglich mit der gezielten Förderung von genmodifizierten Saaten möglich. Und dahinter stecken eine Handvoll Grosskonzerne wie Bayer oder Syngenta. Was uns heute noch vielleicht als undenkbar erscheint, wird womöglich morgen eine Selbstverständlichkeit sein, weil der Krieg und die Versorgungslage weltweit es rechtfertigen. 

 

Weniger heizen, weniger fahren, weniger essen, weniger feiern. Ich will das nicht verschreien, zweifellos haben wir es in den Industrieländern nötig, uns einzuschränken. Doch die wenigsten tun es aus eigenem Antrieb oder wenn, dann unkonsequenterweise. Deshalb werden Kriege von zynischen Grossmachtpolitikern und Grosskonzernen dazu missbraucht, Verhalten dauerhaft zu ändern. In dem Sinne hat WEF-Vorsitzender Klaus Schwab auch nichts erfunden, wenn er den „Reset“ predigt. Diesen Bevölkerungsregulator, der dem „Reichsten“ im sozialdarwinistischen Sinne erlaubt, wie bis anhin weiterzumachen, hat es schon immer gegeben.  

 

Virginia Bischof Knutti©22.06.2022

 

Foto: Die Rofflaschlucht bei Andeer (GR), Virginia Bischof Knutti

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