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"Megatrends und Raumentwicklung Schweiz" - Teil 1

Megatrends sind Instrumente der Zukunftsforschung. Salopp ausgedruckt, sie sind Treiber des Wandels und dienen den zahlreichen Gesellschaften dieser Welt als Orientierung. 

Je nach Zukunftsforscher ist die Zahl der identifizierten Megatrends verschieden. Das deutsche Zukunftsinstitut hat ein breites Spektrum von 12 Megatrends auserkoren, die mehr oder weniger alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens abdecken. In der Schweiz und insbesondere in Graubünden machen sich jedoch raumplanerische Herausforderungen zunehmend bemerkbar. Deshalb werde ich mich auf Megatrends konzentrieren, die auch raumwirksam sind. 

Der Raum für Ordnung (ROR) hat 2019 in seinem Bericht „Megatrends und Raumentwicklung Schweiz“ fünf Megatrends identifiziert, die für die Schweiz raumwirksam sind und ihre Entfaltung bis zum Zeithorizont 2040 manifestieren sollen. 

Die Analyse dieser Megatrends, die erwarteten Auswirkungen daraus und die Chancen, die sich dadurch bieten, sind die Basis zur Auslegung der Raumplanung, wobei der Fokus auf die alpinen Räume  und insbesondere auf Graubünden gelegt wird.  Deshalb werde ich sie im ersten Teil zusammenfassen und wie eine Rezension kommentieren. 

Die Coronapandemie und der Krieg in der Ukraine zeigen jedoch, dass die geopolitische Lage, wie wir sind in den letzten 30 Jahren gekannt haben, im Umbruch begriffen ist. Das hat auch einen Einfluss auf die Megatrends, deren Entwicklung sich den geopolitischen Gegebenheiten nicht entziehen kann.  Die grösste Herausforderung dieser Arbeit besteht demzufolge im zweiten Teil darin, die Entwicklung dieser Megatrends für eine post-Krieg-Zukunft in Form eines Essays zu erfassen und Schlussfolgerungen für die Raumplanung in den alpinen Räumen zu ziehen. 

 

Definition und Merkmale

Megatrends sind Instrumente der Zukunftsforschung. Salopp ausgedruckt, sie sind Treiber des Wandels und dienen den zahlreichen Gesellschaften dieser Welt als Orientierung. Anders als Hypes oder einfache Trends, die eher eine kurze Lebensdauer haben, haben Megatrends eine dauerhafte und tiefere Wirkung auf die Menschen, da sie in vielen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder technologischen Prozessen vorkommen. 

 

Megatrends sind durch folgende Merkmale gekennzeichnet: 

 

  • Langlebigkeit: Sie können mehrere Jahrhunderte dauern.
  • Allgegenwart: Sie sind in allen Bereichen des Lebens anzutreffen. 
  • Globalität: Sie beeinflussen alle modernen Gesellschaften weltweit. 
  • Komplexität: Sie sind vielschichtig und mehrdimensional; sie können linear und konstant sein, aber auch mit abrupten Unterbrüchen zackig verlaufen; sie können auch untereinander agieren und sich gegenseitig beeinflussen. 
  • Gegenreaktion: Fast jeder Trend ruft einen Gegentrend hervor.

 

Ausgangslage und Zielsetzungen

Je nach ZukunftsforscherIn ist die Zahl der identifizierten Megatrends verschieden. Das deutsche Zukunftsinstitut hat ein breites Spektrum von 12 Megatrends identifiziert: Gender Shift, Gesundheit, Globalisierung, Konnektivität, Individualisierung, Mobilität, Sicherheit, New Work, Neo-Ökologie, Wissenskultur, Silver Society und Urbanisierung. Diese 12 Megatrends decken mehr oder weniger alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens ab. (1)

 

Im schweizerischen Mittelland und in Graubünden machen sich jedoch gegenläufige raumplanerische Herausforderungen zunehmend bemerkbar: So platzen im Mittelland die Agglomerationen aus allen Nähten, während die Seitentälern Graubündens sich entleeren. 

 

Es ist nicht so, dass das Problem erst seit heute besteht, aber es hat seine Zeit gebraucht, bis man in Graubünden erkannt hat, dass der masslose Zweitwohnungsbau und die strengen Baurestriktionen im revidierten Raumplanungsgesetz die Entvölkerung beschleunigt haben.   

 

Diese äusserst ungünstige Lage bringt mich dazu, die raumplanerischen Herausforderungen Graubündens erneut unter die Lupe zu nehmen, zumal die neue geopolitische Lage eine Umorientierung verlangt.  

 

In seinem Bericht von 2019 „Megatrends und Raumentwicklung Schweiz“ (2) teilt der Rat für Raumordnung (ROR) die Schweiz in vier Raumtypen: 

 

  1. die wachstumsstarken urbanen Ballungszentren, 
  2. die ländlichen Räume mit kleineren Städten und Ortschaften, 
  3. die alpinen Räume und 
  4. den Jurabogen mit den voralpinen Räumen.

Zudem hat der ROR fünf Megatrends identifiziert, die für die Schweiz bis zum Zeithorizont 2040 raumwirkend sein sollen. Es sind: 

 

  1. Globalisierung, 
  2. Digitalisierung, 
  3. Individualisierung, 
  4. demographischer Wandel und Migration und 
  5. Klimawandel. 

Basierend auf diese vier Raumtypen und fünf Megatrends hat der ROR seine erwarteten Auswirkungen für jeden Megatrend bis 2040 formuliert, sowie Herausforderungen und Chancen identifiziert. 

 

Es liegt mir fern, die raumplanerischen Herausforderungen der anderen Raumtypen herunterzuspielen, doch ich komme aus Platzgründen nicht darum herum, mich aufgrund meiner Verbundenheit zu Graubünden auf die Auswirkungen der Megatrends auf die alpinen Räume und insbesondere auf Graubünden zu konzentrieren. 

 

Infobox: Rat für Raumordnung (ROR)

Der Rat für Raumordnung (ROR) ist eine ausserparlamentarische Kommission. Er hat den Auftrag, räumliche Herausforderungen frühzeitig zu erkennen und den Bundesrat, das Sekretariat für Wirtschaft (SECO) und das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) in Fragen der räumlichen Entwicklung zu beraten. Zum Abschluss der Legislatur 2016-19 hat der ROR dem Bundesrat einen Bericht zum Thema Auswirkungen von Megatrends auf die Raumentwicklung der Schweiz unterbreitet. Es handelt sich dabei um eine Einschätzung, wie die aus damaliger Sicht massgeblichen Trends und Herausforderungen den Raum Schweiz in den nächsten 20 bis 25 Jahren prägen werden, und welche Aufgaben sich daraus für die Bundesverwaltung ergeben können. 

 

Erwartete Auswirkungen der Megatrends auf die alpinen Räume

Es folgt eine kurze Abhandlung der erwarteten Auswirkungen der Megatrends in den alpinen Räumen bis 2040 aus der Sicht des ROR.

 

Globalisierung

Die exportorientierte Schweiz gehört ohnehin zu den Ländern, die am meisten von der Globalisierung profitiert haben. Der Trend soll sich fortsetzen.

 

Am attraktivsten bleiben sogenannte „Global Cities“ wie die Finanzplätze Zürich und Genf, der Pharmastandort Basel und der Rohstoffstandort Zug. Ebenso attraktiv bleiben die traditionellen Tourismusdestinationen wie St. Moritz, Zermatt oder Gstaad.

 

Der Trend zur Urbanisierung setzt sich ebenso fort.

 

Der weltweite Tourismus nimmt zu. Dabei konzentriert sich der Gruppentourismus auf Städte und hochgelegene, traditionelle alpine Destinationen, während die individuellen Reisenden einen „sanfteren“ Tourismus bevorzugen.  

 

Gegentrend: Werte wie Heimat und Schweizer bzw. lokale Identität, die noch in der Baukultur der Berggebieten zu finden sind, gewinnen an Bedeutung.

 

Digitalisierung

Die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Raum Schweiz sind am grössten, denn sie betreffen alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche des Lebens. 

 

Die Arbeitswelt wird flexibler, aber auch prekärer. Die scharfe Trennung zwischen Arbeit und Freizeit wird immer schwerer zu halten sein. 

 

Dank Industrie 4.0 kann einen Teil der industriellen Produktion wieder in der Schweiz angesiedelt werden (sog. „Reshoring“). 

 

Die Arbeit emanzipiert sich zunehmend von der Mobilität und bringt neue Arbeitsmodelle hervor: Home-Office, Mobile-Office, Desk-Sharing, Co-Working-Space, und wie sie alle heissen. Es ist auch die Rede von der Entstehung von „Village Offices“, die periphere und günstigere Gebiete bevorzugen sollen.

 

Die Bahn ist das bevorzugte Transportmittel zwischen den Zentren. In der Peripherie hingegen sollen zunehmend selbstfahrende Fahrzeuge eingesetzt werden. 

 

Im Dienstleistungs- und Pflegebereich kommen Maschinen und Roboter mit Spracherkennung zum Einsatz. 

 

Durch optimierte Abläufe können auch Personalkosten reduziert werden, so z.B. in der Landwirtschaft, wo selbstfahrende Maschinen Einzug halten. 

 

Gegentrend: Interessanterweise hat der ROR keinen Gegentrend zur Digitalisierung gefunden, wohl aber Dilemmas und Risiken wie Überforderung, zunehmende Normierung, Fragmentieren der Gesellschaft in „Blasen“ sowie Cyberkriminalität.

Offenbar gibt es zur Digitalisierung keine Alternative.

 

Individualisierung

Wenn die Digitalisierung eine Emanzipierung gegenüber dem Raum bzw. eine Minderung des Raumverbrauchs impliziert, bewirkt die Individualisierung genau das Gegenteil: eine grössere Raumnutzung.

 

Die in den USA vorherrschende Fokussierung auf Minderheitsgruppen führt global zu einer Zersplitterung der Gesellschaft. 

 

Räumliche Planungen und grössere Projekte werden durch die vielfältigen Partikularinteressen von kleineren und grösseren Interessengruppen immer wieder blockiert, wodurch es zunehmend schwieriger wird, das „Allgemeinwohl“ zu definieren bzw. sich auf etwas Gemeinsames zu einigen. 

 

Individualisierung führt zum Verlust von Solidarität und Engagement für die Allgemeinheit, insbesondere in den peripheren Räumen.

 

Gegentrend: Gerade in den peripheren Räumen sieht der ROR auch Potenzial für Solidarität und Engagement.  

 

Demographischer Wandel und Migration

Der demographische Wandel in der Schweiz hat zwei Dimensionen: Erstens wächst die Bevölkerung dank der Zuwanderung, was eine zunehmende Heterogenität der Bevölkerung impliziert. Zweitens wird die Schweizer Bevölkerung immer älter.

 

Im Jahr 2040 ist die 10 Mio.-Marke erreicht. 

 

Die Arbeitsmigration aus dem EU-Raum, die in den letzten Jahren stark zugenommen hatte, gestaltet sich volatiler. 

 

Weil internationale Migrationgsströme aufgrund von Kriegen, Krisen oder Umweltkatastrophen nicht vorherzusehen und zu quantifizieren sind, bleiben sie ein Unsicherheitsfaktor. 

 

Angesichts der unsicheren Finanzierung der Altersvorsorge ist ist mit zunehmender Armut im Alter zu rechnen. 

 

Das Rentenalter wird ansteigen. 

 

Gegentrend: Eine kinderfreundliche Politik ist grundsätzlich jederzeit möglich, kann aber den demographischen Wandel nur am Rande beeinflussen. Die Heterogenität und die Überalterung der Bevölkerung bleiben Tatsachen.  

 

Klimawandel

Der Klimawandel wirkt sich in der Schweiz je nach Raumtyp verschieden aus. 

 

In den Berggebieten sind die Auswirkungen zwiespältig: Zum einen nehmen die Naturgefahren aufgrund von Bergrutsch und Steinschlag zu und die Schneemengen sind rückläufig. Zum anderen sind die Berglagen im Sommer mit ihrer frischen Luft beliebt und gewinnen an Bedeutung für den Tourismus. Im Flachland gibt es vermehrt heisse und trockene Sommer sowie häufiger klimatische Extremereignisse wie Stürme und Starkregen. Die Folgen für den Lebensraum Schweiz liegen auf der Hand: einerseits unbewohnbare Orte in den alpinen und voralpinen Räumen, andererseits unangenehme bis schädliche Lebensbedingungen in den Städten. 

 

Auswirkungen von starken Wetterphänomenen sind für den alpinen Raum und entlang der Fliessgewässern am grössten. 

 

Bis Ende des Jahrhunderts wird die Mehrheit der Alpengletscher verschwunden sein. Nicht nur Hochwasserrisiken sind die Folge, sondern auch die Frage der Wasserversorgung, da die Gletscher als Wasserspeicher dienen.

 

Skitourismus ist unter 2500 Meter in absehbarer Zeit nicht mehr möglich, was sich auf die Nachfrage in der Hotellerie spürbar auswirkt. 

 

Die im Rahmen der Schweizer Klimapolitik geplante intensivere Nutzung von natürlichen Ressourcen wie Sonne, Wasser und Wind führt zu Interessenkonflikten mit dem Natur- und Landschaftsschutz, dem Denkmalschutz sowie dem Heimatschutz. 

 

Gegentrend: Einen Gegentrend zum Klimawandel hat der ROR zum Zeitpunkt der Herausgabe nicht beobachtet. 

 

Kommentar

Die Analyse des ROR datiert von 2019. Inzwischen haben wir eine Pandemie erlebt und ein Krieg tobt seit acht Monaten im Osten Europas. Die LeserInnen werden selbst realisiert haben, dass die vom ROR identifizierten Megatrends bzw. deren erwarteten Auswirkungen überholt sind. 

 

Bevor wir uns der Entwicklung der Megatrends widmen, sollten wir jedoch den vom ROR identifizierten Herausforderungen und Chancen Achtung schenken. Denn nur so wird begreiflich, weshalb diese Megatrends überholt sein dürften.

 

Herausforderungen für die alpinen Räume

Definition und geografischer Rahmen

Zu den alpinen Räumen gehören die Kantone Graubünden, Uri, Obwalden, Nidwalden, Tessin und Wallis sowie Teile der Kantone Bern und Waadt. Sie machen rund 50 % der Gesamtfläche der Schweiz aus. In den sieben Kantonen, die sich der Regierungskonferenz der Gebirgskantone (RKGK) angeschlossen haben (VS, GR, TI, UR, OW, NW und GL), lebten 2014 jedoch nur 12 % der Schweizer Bevölkerung.

 

Die zwei grössten Herausforderungen der peripheren Gebiete

Der ROR sieht die Abwanderung und die starke Alterung der verbleibenden Bevölkerung als grösste Herausforderungen der peripheren Gebiete. Diese Situation führt dazu, dass die Kosten für die verkehrstechnische Erschliessung, die Aufrechterhaltung des Service public, der Infrastrukturen und der Versorgung sowie die Betreuung von älteren Menschen sich auf immer weniger Einwohner konzentrieren. Zudem steht die Landwirtschaft unter grossem Druck, was verschiedene Ansprüche auf ihre Raumnutzung erweckt. 

 

Geografisch begrenzte Entwicklungschancen

Entwicklungschancen sieht der ROR vor allem in den multifunktionalen Talböden im Rhonetal, im Rheintal, im unteren Reusstal und in der unteren Leventina und verweist auf die hohen Wachstumsraten der Bevölkerungen in Sion, Chur oder Bellinzona. Der ROR stellt die Frage in den Raum, inwieweit Megatrends die Entwicklung dieser Talböden zu eigentlichen urbanen Zentren fördern, zumal die geografische Lage das Wachstum dieser Städte begrenzt. 

 

Best Practice

Ein laut ROR gelungenes Beispiel ist die Agglomeration Brig-Visp-Naters im Oberwallis, wo mit einem Agglomerations-Programm mit neuen angesiedelten Hochschulen, Fachhochschulen und Unternehmen eine zusammenhängende Stadt mit städtebaulichen Qualitäten und hochwertigen Landschaftselementen die Abwanderung in den Arc Lémanique verhindern soll.

 

Raumplanerische Herausforderungen in den Seitentälern Graubündens

Noch schwerer haben es die Gemeinden in den Seitentälern Graubündens und des Tessins - und zwar insbesondere dann, wenn sie über keine ÖV-Erschliessung zu einer Alpenstadt verfügen. So bemerkt der ROR zu Recht, dass die Täler in den Kantonen Graubünden und Tessin viel verzweigter und abgelegener sind als im Wallis, wo sie direkt mit dem Rhonetal verbunden sind und wo zuhinterst oft eine attraktive Tourismusgemeinde liegt. Um die Abwanderung zu bremsen, setzen die Gebirgskantone auf die Sicherung von Arbeitsplätzen, die Inwertsetzung der Natur und die Erschliessung der Täler durch Verkehr und Telekommunikation, meint der ROR ferner. 

 

Tourismus überdenken

Tourismus wird vom ROR als wichtige Einkommensquelle der Bergkantone betrachtet. Insbesondere der Wintertourismus ist jedoch in den Schweizer Bergen in den letzten Jahren infolge des starken Frankens, der hohen Arbeitskosten und des Klimawandels in eine Krise geraten. Obwohl der Tourismus weltweit ein Wachstumsmarkt ist, führt der ROR fort, zieht es neue Touristenströme wie Mittelschichten aus den Schwellenländern eher in die Städte. Während Luzern z.B. über zu viele Touristen klagt, verzeichnen viele Ferienorte in den Schweizer Bergen im Winter einen Rückgang der Buchungen. Für die Berggebiete geht somit ein erheblicher Marktanteil verloren - sei es an den Städten, sei es wegen des Klimawandels. 

 

Kommentar

Die Geografie ist in den alpinen Räumen ungünstig. Sie macht die Infrastruktur teuer und unrentabel. Da, wo die geografische Lage und die Erschliessung zum Mittelland günstig sind, ist noch wirtschaftliches Potenzial vorhanden. Für Graubünden liegt es mehrheitlich im Churer Rheintal. Ansonsten übersteigen die Herausforderungen der alpinen Räume die finanziellen Kapazitäten des Landes und lassen wenig Handlungsspielraum erkennen. Der Tourismus als Leitbranche bleibt einigen wenigen hochgelegenen und traditionellen Destinationen vorbehalten. Ansonsten wirtschaftlich interessant sind die Berggebiete für ihre natürlichen Ressourcen  - Wasser, Holz, Sand und frische Luft - und für ökologische Ziele wie die Vergrösserung der Schutzgebiete und die Erhaltung der Biodiversität. An solchen Arbeitsstätten bzw. Ökosystemen sind Menschen als ArbeitnehmerInnen nicht sonderlich gefragt. Als Lebens- und Arbeitsraum in den alpinen Räumen eignen sich somit nur wenige städtisch-urbane angelegte Orte. 

 

Chancen für die alpinen Räume

Entsprechend gering sind auch die Chancen, die der ROR für die alpinen Räume wittert, wie folgende Argumente belegen. 

 

Wohnen und arbeiten in multifunktionalen Räumen

Die Alpenstädte, die über relativ günstige Landpreise verfügen, ziehen Industrie und Unternehmungen des Dienstleistungssektors an. Der Betrieb von ETH-Ablegern oder Fachhochschulen ist ebenso ein anziehender Faktor, der für das Wachstum und die Verjüngung der Bevölkerung der Alpenstädte spricht. Chur gehört eindeutig zu solchen attraktiven Alpenstädten.

 

Mit der Welt vernetzte saisonale Dörfer

Indessen bleiben die peripheren Gebiete auf der Strecke: „Eine grosse Herausforderung für die Berggebiete war lange die Abwanderung und die Entleerung abgelegener Dörfer. Entsprechend fehlte es zunehmend an Menschen und kommunalen Steuererträgen für die Pflege der Kulturlandschaft, den Unterhalt der Infrastrukturen sowie der gemeinnützigen Bauten. (…) Einige dieser Dörfer an wenig attraktiven Lagen wurden aufgegeben und die Bausubstanz wurde sich selbst überlassen.“ (3)

 

Die Chance besteht darin, so der ROR weiter, dank der Digitalisierung „Home Officers“, zumindest für die Sommermonate zu gewinnen, und die ZweitwohnungsbesitzerInnen (im Bericht New Highlanders genannt),  die ihren Wohnsitz für längere Zeit in die Berggebiete verlegen, zur Übernahme von politischen Ämtern zu motivieren.  

 

Digitalisierte Berglandschaft und neue Wildnisgebiete

Digitalisierung scheint das Mittel für alles zu sein. So kann bis 2040 das Vieh im Sommer auf den Alpen mittels „Remote Sensing“ überwacht werden. Allerdings nimmt die Bevölkerung in verschiedenen Berggebieten weiter ab: „Einige exponierte Gebiete im Urnerland, im Tessin und in Graubünden wurden zu neuen Wildnisgebieten ernannt, in denen nicht mehr dauerhaft gewohnt werden darf.“ (4)

 

Die Chance besteht hier darin, das Territorium, wo möglich rentabel zu nutzen. Wo nicht, werden die Kosten reduziert, indem es für die Nutzung von Wildtieren aufgegeben wird. 

 

Frische Luft als Trumpf für den Bergtourismus

Die hochgelegenen Winterstationen im Oberengadin und im Wallis gewinnen weiterhin an Bedeutung. Allerdings entwickelt sich der Skisport bis 2040 zu einem Nischensport zurück, den sich nur noch gut betuchte Menschen leisten können. Für die wachsende Zahl der MigrantInnen ist Skifahren kaum finanzierbar. Ansonsten bleiben die Berggebiete im Sommer attraktiv, wenn die Hitze den Menschen im Mittelland zusetzt. Vorausgesetzt, den Touristen wird eine breite Palette an Freizeitaktivitäten angeboten. 

 

Erhöhte Nutzung der Ferienwohnungen

Eine weitere Chance besteht darin, dass Ferienwohnungen tendenziell nicht mehr einer Person, sondern Gruppen angehören. Das erlaubt eine Flexibilisierung der Nutzung und einen höheren Nutzungsgrad. Ausserdem sollen vermehrt pensionierte Zweitwohnungsbesitzer ihre Wohnung im Unterland den Kindern überlassen und sich selbst dauerhaft in der Zweitwohnung niederlassen. Tourismusdestinationen mit grossem Verkehrsaufkommen wie Davos und St. Moritz setzen auf digital gesteuerte Elektrobusssysteme. 

 

Gestärkte lokale Baukultur als Attraktion für BewohnerInnen und BesucherInnen

Die Globalisierung und ihr Pendant, die Urbanisierung, haben ubiquitäre Stadtbilder und Agglomerationen hervorgebracht, die weltweit mehr oder weniger austauschbar sind. Das ist die Chance der Berggebiete, in denen die „traditionelle ortstypische Baukultur, die in den alpinen Gebieten besonders ausgeprägt ist, an Attraktivität gewinnt.“ (5)

 

Kommentar

Die Chancen, die der ROR geschildert hat, sind marginal und können ihre Auswirkungen nur sehr lokal entfalten. Um die Entvölkerung Graubündens zu stoppen und die Wirtschaftsbasis zu vergrössern, wären Massnahmen einer ganz anderen Dimension vonnöten. Doch die Denkweise und Stossrichtung des ROR gehen offensichtlich den Weg des geringsten Widerstandes und folgen wirtschaftlichen Prinzipien: Was nicht rentabel bewirtschaftet werden kann, soll renaturiert werden. 

 

Nun fragt sich, wie die Coronapandemie und vor allem der Krieg in der Ukraine diese bis anhin kaum angefochtenen Rahmenbedingungen verändern und wie die identifizierten Megatrends sich entwickeln dürften.

 

Fortsetzung folgt voraussichtlich in der ersten Novemberwoche.

 

Virginia Bischof Knutti©27.10.2022

 

 

 

Quellen:

  1. Zukunftsinstitut, https://www.zukunftsinstitut.de/dossier/megatrends/, gesichtet am 27.10.2022. 
  2. Rat für Raumordnung (ROR), Megatrends und Raumentwicklung Schweiz, Bern, 2019, https://www.are.admin.ch/are/de/home/medien-und-publikationen/publikationen/strategie-und-planung/megatrends.html.
  3. Ibid, S. 61.
  4. Ibid, S. 61.
  5. Ibid, S. 62.

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