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The Return of Red China

Vorliegender Beitrag ist eine neue Rezension aus der Ausgabe von November-Dezember 2022 von „Foreign Affairs“, die China gewidmet ist. 

Autor des Artikels ist Kevin Rudd (1). Kevin Rudd ist eine schillernde Figur der australischen Politik. Er ist aktuell Präsident der Asia Society mit Sitz in New York und diente zwischen 2007 und 2013 zuerst als Aussenminister, dann als Premierminister Australiens. Er ist der Autor von „The Avoidable War: The Dangers of a Catastrophic Conflict between the U. S. and Xi Jinping’s China.“ Laut wikipedia soll Rudd der chinesischen Sprache mächtig sein.

Rudds Angst vor China ist an jeder Stelle des Artikels spürbar. Beim Lesen dieses Artikels muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen,  dass Rudd Australier ist. Australien liegt isoliert mitten im Pazifik. Die Insel ist im Fall eines Angriffes auf U.S-amerikanische und NATO-Hilfe angewiesen, die unter Umständen nie schnell genug kommen kann. 

Der Autor setzt sich mit dem „Arbeitsbericht 2022“ von Xi Jinping, den er beim 20. Parteikongress der Chinesischen Kommunistischen Partei letzen Oktober präsentierte, auseinander. 

Im härteren Auftretens und in der Wendung des politischen Diskurses Xis sieht der Autor ein Zurück Chinas zum Marxismus. 

 

Die geopolitische Lage Australiens

Doch bevor wir uns dem vorliegenden Artikel widmen, ist es von Vorteil, sich die geopolitische Lage Australiens vor Augen zu halten. 

 

Rudds Angst vor China ist an jeder Stelle des Artikels spürbar, denn Australiens geopolitische Lage ist alles andere komfortabel. Tatsächlich überdehnt sich der Inselstaat zwischen zwei Welten - den USA und Grossbritannien, denen er sich aus historischen Gründen gesellschaftlich und kulturell verbunden fühlt, und Asien, am Rande dessen es geografisch eingebettet ist und mit welchem es wirtschaftlich und demografisch ebenso verbunden ist. Zwischen diesen zwei Welten sucht Australien seinen Handlungsspielraum. 

 

Anschliessend ein kurzer Überblick über die drei prägendsten geopolitischen Faktoren Australiens:

 

  • Die Insellage: Obwohl Peking 9’000 Km Luftlinie von der australischen Hauptstadt Canberra entfernt ist, was Australien eine gewisse strategische Tiefe verleiht, liegt Canberra noch weiter entfernt von den USA. Tatsächlich von Canberra bis San Francisco sind es 12’000 Km, bis Washington D.C. sogar 16’000 Km. Australiens nächster Verbündeter, Tokio, liegt 8’000 Km entfernt, liegt aber in Asien. Mit anderen Worten, Australien liegt ziemlich isoliert mitten im Pazifik und muss wohl Allianzen mit dem weiten Westen und Asien schmieden, aber auch eigene Verteidigungsfähigkeiten entwickeln. 
  • Die wirtschaftliche Abhängigkeit von Asien: Australiens grösster Handelspartner ist China. Mit China allein bestreitet Australien 34,2 % seiner Exporte und 27,9 % seiner Importe. Mit 3,2 % der Exporte sind die USA Australiens vierter Handelspartner. Vor den USA kommen Japan (8,9 %) und Indien (4,0 %). Auf der Importseite stehen die USA an zweiter Stelle (10,2 %), gefolgt von Japan (6,0 %), Thailand (4,4 %), Deutschland (4,3 %), Malaysia (3,9 %) und Singapur (3,7 %). Sonstige Staaten stehen für 38,0 % der Exporte bzw. 39,6 % der Importe (2).
  • Die demografische Entwicklung: Australiens „White-Australia“- Einwanderungspolitik bevorzugte seit 1901 die europäische Migration. Seit den 1970er Jahren bezieht aber Australien seine Fachkräfte zunehmend aus dem asiatischen Raum. Auf einer Gesamtbevölkerung von rund 25 Mio. Einwohner, sind 17,6 Mio. InländerInnen (70 %) und 7,3 Mio. AusländerInnen. (30 %). Die grösste ausländische Community bilden England (3,9 % der Gesamtbevölkerung), gefolgt von China  (2,6 %) und Indien (2,3 %) (3).

Aus dieser komplexen geopolitischen Lage ergibt sich, dass im Fall eines Angriffes auf Australien Canberra auf U.S.-amerikanische und NATO-Hilfe angewiesen ist. Das erklärt Australiens Nervosität und folglich seine Bereitschaft, dem Quadrilateral Security Dialogue (kurz: QUAD) mit den USA, Indien und Japan beizutreten. Symptomatisch für diese Nervosität war letzten Juni Canberras Willen bei der Beschaffung von U-Booten die Kooperation mit Frankreich zu verschmähen und diejenige mit den USA zu privilegieren. Es führte zur Stornierung durch Canberra eines Rüstungsdeals mit Paris von einer halben Milliarde Euro.  

 

Und nun widmen wir uns dem vorliegenden Artikel zu, dessen Aufbau wie folgt ist: Einführung, The Pen and the Sword, Seriously and Literally.

 

 

Einführung

Der Autor erinnert an die Politik der „Reform und Öffnung“, die der chinesische Staatschef Deng Xiaoping 1978 lancierte. Sie war gekennzeichnet durch eine pragmatische Innen- und Aussenpolitik, die Hunderte Millionen von Chinesen aus der Armut befreite. Diese Politik wurde bis anhin durch Deng’s Nachfolger weitergeführt.

 

Das Ende dieses pragmatischen Kurses Chinas zeichnete sich bereits beim 19. Nationalen Kongress im Jahr 2017 ab. Doch es war der 20. Parteikongress von Oktober 2022, das Xi eine beispiellose dritte Amtszeit gewährte und marktfreundliche Beamte aus der Führung des Zentralkomitee entfernte. 

 

Das bedeutet für die westlichen Beobachter, dass China nicht mehr mit den bisher „komfortablen“ Rahmenbedingungen analysiert werden kann. Xi Jinping ist, so der Autor, ein wahrer Anhänger des Marxismus-Leninismus. 

 

Diese Ideologie treibt nun Peking zur Rückkehr der Parteikontrolle über Politik und Gesellschaft voran, wobei der Raum für private Meinungsverschiedenheiten und persönliche Freiheit eingeschränkt wird. Gleichzeitig gewinnen Wirtschaftssteuerung und eine durchsetzungsstarke Aussen- und Sicherheitspolitik zunehmend an Bedeutung. 

In seiner Rede am 20. Parteikongress hat Xi Jinping den ideologischen und die politischen Regeln des Weges für die nächsten fünf Jahre skizziert. Dabei hat er der Partei und der Welt aufgezeigt, wie seine Vision einer „Modernisierung nach chinesischem Vorbild“ aussieht. 

 

Diese Vision ist eine Absage an die westliche Welt. Sie fordert die Entkoppelung von der ökonomischen Moderne, von westlichen politischen und sozialen Normen und von den zugrunde liegenden kulturellen Überzeugungen. Diese Vision bietet eine neue internationale Ordnung, die in China verankert ist und nicht in der geopolitischen Macht der USA. Daher muss China Institutionen und Normen schaffen, die mit Chinas eigenen Interessen und Werten vereinbar sind und nicht mit denen des Westens. 

 

Der Autor nennt diese Vision eine manichäische (4) Weltsicht, eine Mischung aus konfuzianischen und marxistisch-leninistischen Werten, die gegen die liberale Demokratie und den liberalen Internationalismus des Westens kämpfen soll. 

 

The Pen and the Sword

„This switch, termed „reform and opening“, led to pragmatic policies that improved Beijing’s relations with the West and lifted hundred of millions of Chinese people from poverty.“   Der Autor erinnert an die Politik der „Reform und Öffnung“, die der chinesische Staatschef Deng Xiaoping 1978 lancierte. Sie war gekennzeichnet durch eine pragmatische Innen- und Aussenpolitik, die Hunderte Millionen von Chinesen aus der Armut befreite. Diese Politik wurde bis anhin durch Deng’s Nachfolger weitergeführt.

„But it was the 20th Party Congress that gave Xi an unprecedented third term as leader and removed pro-market officials from the CCP’s leadership.“    Das Ende dieses pragmatischen Kurses Chinas zeichnete sich bereits beim 19. Nationalen Kongress im Jahr 2017 ab. Doch es war der 20. Parteikongress von Oktober 2022, das Xi eine beispiellose dritte Amtszeit gewährte und marktfreundliche Beamte aus der Führung des Zentralkomitee entfernte. 

„He is a true believer in Marxism-Leninism; his rise represents the return to the work stage of Ideological Man.“   Das bedeutet für die westlichen Beobachter, dass China nicht mehr mit den bisher „komfortablen“ Rahmenbedingungen analysiert werden kann. Xi Jinping ist, so der Autor, ein wahrer Anhänger des Marxismus-Leninismus. 

    Diese Ideologie treibt nun Peking zur Rückkehr der Parteikontrolle über Politik und Gesellschaft voran, wobei der Raum für private Meinungsverschiedenheiten und persönliche Freiheit eingeschränkt wird. Gleichzeitig gewinnen Wirtschaftssteuerung und eine durchsetzungsstarke Aussen- und Sicherheitspolitik zunehmend an Bedeutung. 

    In seiner Rede am 20. Parteikongress hat Xi Jinping den ideologischen und die politischen Regeln des Weges für die nächsten fünf Jahre skizziert. Dabei hat er der Partei und der Welt aufgezeigt, wie seine Vision einer „Modernisierung nach chinesischem Vorbild“ aussieht. 

„This vision calls for decoupling economic modernity from Western political and social norms and underlying cultural beliefs.“   Diese Vision ist eine Absage an die westliche Welt. Sie fordert die Entkoppelung von der ökonomischen Moderne, von westlichen politischen und sozialen Normen und von den zugrunde liegenden kulturellen Überzeugungen. Diese Vision bietet eine neue internationale Ordnung, die in China verankert ist und nicht in der geopolitischen Macht der USA. Daher muss China Institutionen und Normen schaffen, die mit Chinas eigenen Interessen und Werten vereinbar sind und nicht mit denen des Westens. 

    Der Autor nennt diese Vision eine manichäische (4) Weltsicht, eine Mischung aus konfuzianischen und marxistisch-leninistischen Werten, die gegen die liberale Demokratie und den liberalen Internationalismus des Westens kämpfen soll. 

The Pen and the Sword

„In the Chinese Communist Party, words matter.“   Symbolik und Worte sind ein wichtiger Bestandteil der chinesischen Politik. So hat der Autor einzelne spezifische Worte aufgelistet und deren Häufigkeit des Auftretens im Arbeitsbericht des 20. Parteikongresses mit älteren Arbeitsberichten verglichen. 

    Im Bericht des 14. Parteikongresses 1992 unter Dengs Führung wurde der Begriff «Wirtschaft» 195 Mal verwendet. Im diesjährigen Bericht wird die Wirtschaft nur 60 Mal erwähnt. Dengs Mantra von «Reform und Öffnung» wurde 1992 54 Mal erwähnt; auf dem 20. Parteitag wurde der Satz nur neunmal ausgesprochen. 1992 tauchte der Begriff «nationale Sicherheit» einmal auf, 2012 nur vier Mal. Aber auf dem 19. Parteikongress 2017, Xis erster als Führer, hatte der Begriff 18 Auftritte. Dieses Jahr wird er 27 Mal erwähnt. Der chinesische Begriff für "mächtigen Staat“ - quiangguo -, erscheint in diesem Jahr 23 Mal, im Vergleich zu 19 im Jahr 2017 und nur zweimal im Jahr 2002. Der Begriff „Marxismus“ kommt in Xis Arbeitsbericht ebenso vermehrt vor. Zudem wird das Wort 22mal in Assoziation mit dem Begriff „Kampf“ gebraucht.

„Overall, these changes indicated that the party is now focused on Chinese nationalism and national security.“   Insgesamt deuteten diese Veränderungen darauf hin, dass sich die Partei nun auf den chinesischen Nationalismus und die nationale Sicherheit konzentriert. Dies stellt eine Zäsur mit früheren Regimen dar, die sich fast ausschliesslich mit der Wirtschaftsentwicklung Chinas beschäftigten, so der Autor.   

„This struggle is not limited to the party’s challenges on the home front (including potentially within the party itself). It is also directed to China’s challenges around the world, including with the United States.“   Kampf ist ein allgegenwärtiger Bestandteil der marxistisch-leninistischen Doktrin. Die Bedeutung des Kampfes wird von Xi Jinping dadurch unterstrichen, dass er am Ende des 20. Parteikongresses das neu gewählte Politbüro auf eine Reise nach Yan’an nahm. In Yan’an war Mao während des chinesischen Bürgerkriegs und während des Krieges gegen Japan stationiert. Von dort aus rief Mao 1945 den 7. Parteikongress ein, der ihn als Führer der Kommunistischen Partei Chinas bestätigte. Von dort aus wurde der zweite Bürgerkrieg gegen den antikommunistischen und nationalistischen Führer Chiang Kai-shek ausgerufen, der mit dessen Flucht nach Taiwan beendet wurde. 

„And now he is preparing for China’s renewed long-term struggle against the old enemy: the separatists in Taiwan.“   Ähnlich wie Mao hat Xi nach einem Jahrzehnt seine Macht ausgedehnt und konsolidiert. Nun bereitet er sich auf den Kampf gegen seinen alten Feind vor: die Separatisten in Taiwan. 

    Während  Xis Vorgänger mehr damit beschäftigt waren, gute Beziehungen zum Westen zu pflegen und die wirtschaftliche Entwicklung Chinas voranzutreiben, kamen sie nie auf die Idee, Taiwans gewaltsam zurückzuerobern. 

„Xi, by contrast, has stated that retaking Taiwan is critical to China’s „national rejuvenation“ and he aims to complete that rejuvenation by 2049.“   Im Gegensatz dazu erklärte Xi im 20. Parteikongress, dass die Rückeroberung Taiwans entscheidend für Chinas «nationale Verjüngung» (5) sei. Die Rückeroberung ist bis 2049 abzuschliessen. 

    Im „Arbeitsbericht 2022“ beschreibt Xi eine „schwere und komplexe internationale Situation“, in der die Partei „auf Gefahren in Friedenszeiten vorbereitet sein muss.“ Er unterstreicht dabei auch die Notwendigkeit einer „totalen Sicherheitsagenda“, die alle praktischen Bereiche der Gesellschaft tangieren. 

„Xi, it seems, is signaling that the CCP and China’s people’s Liberation Army must now be ready to fight a major war.“   Xi, so scheint es, signalisiert, dass China nun bereit sein muss, einen grossen Krieg zu führen. Was wiederum eine grössere Kontrolle über das chinesischen Volk impliziert. 

Seriously and Literally

 
    Mit diesem Untertitel signalisiert der Autor, dass die chinesische Rhetorik nun ernst und aufs Wort genau genommen werden muss. Zusätzlich zu diesen umfassenden ideologischen Verschiebungen hat der 20. Parteitag eine Reihe Veränderungen politischer und personeller Natur verabschiedet. 

 „The Party removed more reform-minded party officials who had sometimes disagreed with Xi.“   So verankerte die Partei Xi verfassungsmässig als «den Kernführer des Zentralkomitees» und erklärte die «Xi Jinping-Gedanken über den Sozialismus mit chinesischen Merkmalen für eine neue Ära» zum «neuen Marxismus des 21. Jahrhunderts.» Ausserdem wurden reformorientierte Parteifunktionäre wie Premierminister Li Keqiang und Wang Yang aus dem Ständigen Komitee des Politbüros oder der Reformist Hu Chunhua aus dem weiteren Politbüro entfernt. Die Öffentlichkeit wird sich lange an die Bilder erinnern, die durch die Welt kursiert sind, als Xis Vorgänger Hu Jintao, aus dem Plenum durch Sicherheitskräfte hinausbegleitet wurde. Obwohl man Xis Gründe für diese Behandlung nicht kennt, kann man davon ausgehen, dass Hu Jintao unzufrieden war mit der fristlosen Entlassung seiner reformistischen Anhänger aus der zentralen Führung des Landes. 

„He is also intent on pushing China’s economy away from market-based capitalism.“   Xi ist ebenso bestrebt, Maos Weg in wirtschaftlicher Hinsicht zu befolgen, indem er die chinesische Wirtschaft vom marktbasierten Kapitalismus zurück in den Staat holen will. Xis marxistische Wende zeigt sich auch darin, dass der „Arbeitsbericht 2022“ die Notwendigkeit des „gemeinsamen Wohlstands“ betont und China angewiesen hat, Wege zu finden, „den Mechanismus der Vermögensakkumulation zu regulieren.“ 

„Xi’s Marxist economic turn is underscored in his work report’s emphasis on the need for „common prosperity“ and in its directive for China to find ways of „regulating the mechanism of wealth accumulation.“    In demselben Dokument rief Xi die Parteimitglieder dazu auf, „eine neue Form der menschlichen Zivilisation zu entwickeln.“ Dies gilt nun, so der Autor, auch für die chinesische Aussenpolitik, in der es Peking zunehmend leichter fällt, Druck, Druckmittel und Gewalt einzusetzen. 

In a new and particularly disturbing formulation, he declared in his work report that his administration had „acted with resolve to focus the entire military’s attention on preparing for war.““   Auf dem Kongress versprach Xi eine „erhöhte Siegesfähigkeit der Armee“, einen „erhöhten Anteil an neuen Kampftruppen“ und mehr „tatsächliche Kampfausbildung.“ Besonders beunruhigend fand der Autor Xis Aussage, wonach Peking „koordinierte Anstrengungen unternommen habe, um den militärischen Kampf in allen Richtungen und Bereichen zu verstärken.“

Fazit

 

Diese ideologischen Verschiebungen, die damit einhergehende politische Rhetorik und die daraus resultierenden neuen politischen Richtungen machen deutlich, so Rudd, dass China nun mit jahrzehntelangen politischen, wirtschaftlichen und aussenpolitischen Pragmatismus und Anpassungstheorien bricht. 

 

Xis China ist durchsetzungsfähig. Er ist weniger subtil als seine Vorgänger, und sein ideologischer Plan für die Zukunft wird nun sichtbar. Die Frage ist, ob sich seine Pläne durchsetzen oder eigene politische „Antikörper" hervorbringen werden, sowohl im Inland als auch im Ausland, die beginnen sich, Xis Vision für China und die Welt aktiv zu widersetzen. Aber als praktizierender marxistischer Dialektiker antizipiert Xi Jinping diese Reaktion wahrscheinlich bereits – und bereitet alle Gegenmassnahmen vor, die dann gerechtfertigt sein mögen.

Kommentar

Drei Jahrzehnte nach dem Fall der Berliner Mauer und der Globalisierung unter U.S.-amerikanischer Herrschaft scheint Xi Jinping eine Umkehr vom Kapitalismus zum Marxismus oder zu einer chinesischen Variante von wirtschaftlichem Dirigismus  herbeiführen zu wollen. Eine ähnliche Entwicklung wollen manche Experten auch in Russland beobachtet haben. Dort ist die Rede von „Rücksovietisierung.“ 

 

Tatsächlich spricht einiges für diese Entwicklung wie z.B. der Bau oder die Verstärkung von Grenzen zwischen den an Russland angrenzenden osteuropäischen Staaten und Russland. Ausserdem ist es offensichtlich, dass sowohl Russland als auch China sich von der westlichen Welt desillusioniert abwenden. Sie haben erkannt, dass ein Grossteil der westlichen Werte nicht die ihren sind. Sie sind nun bestrebt, einige Distanz zum Westen zu halten. In diesem Bestreben scheinen die beiden eurasischen Mächte gemeinsam handeln zu wollen. Ein Ziel dieses „Bündnis“ dürfte die Ablösung der U.S.-Dollars als Welt- und Reservewährung sein. Es fragt sich, wie stark die Anziehungskraft dieses riskanten Vorhabens auf weitere Staaten sein wird.  

 

Eine andere Frage ist, mit wie viel Autoritarismus der Prozess einhergehen möge. Und vor allem, ob diese Herrschermethode auf diese zwei Grossstaaten begrenzt bleiben wird. 

 

Ob nun Peking Taiwan angreift, oder ob die Sache gewaltlos vonstatten gehen kann, oder wiederum ob die ganze restliche Welt tatsächlich durch die Rote Armee bedroht ist, wird sich weisen. Der Zeitfaktor ist aber in der Lagebeurteilung entscheidend: Bekanntlich rechnet China in grösseren Zeitdimensionen als der Westen. So gilt 2049 als das Verfallsdatum der Rückeroberung von Taiwan. Doch selbst wenn Xi bis dahin im Amt bleiben würde, wäre er im Jahre 2049 96 Jahre alt. Ein früherer Artikel aus „Foreign Affairs“ liess verlauten, dass Xi die Taiwanesische Frage innerhalb der nächsten zehn Jahren regeln möchte. Schliesslich kommt es erneut auf die USA an, wie sie auf einen solchen Angriff reagieren und im Falle einer Intervention inwiefern sie die NATO-Mitgliedsstaaten hineinziehen würden. 

 

Jedenfalls kann man sich ab jetzt  auf eine Steigerung der Propagandaschlacht zwischen China und dem Westen einstellen. 

 

Virginia Bischof Knutti©29.11.2022

 

Quellen und Anmerkungen

  1. Rudd Kevin, The Return of Red China - Xi Jinping Brings Back Marxism, in: Foreign Affairs, November-December 2022.
  2. Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Australien#Aktuell.
  3. Wikipedia, Demografie Australiens, https://de.wikipedia.org/wiki/Demografie_Australiens.
  4. „Manichäisch“: Der Manichäismus ist nach seinem Gründer, dem Perser Mani (216-276/277), genannte Offenbarungsreligion der Spätantike und des frühen Mittelalters. In der modernen Sozialwissenschaft teilt der Manichäismus die Welt in positiven und negativen Bildern. 
  5. Nach Xi Jinping historischer Resolution wird die chinesische Geschichte Chinas seit 1949 in drei Teile geteilt: die Phase unter Mao von der Gründung der Volksrepublik 1949 bis 1976; die Reformperiode unter Deng Xiaoping bis 2012; und die "Zeit der nationalen Verjüngung" unter dem amtierenden Präsidenten Xi Jinping. Was die nationale Verjüngung konkret bedeuten soll, darüber rätseln Beobachter. Als gesichert gilt, dass die Annexion Taiwans ein Ziel ist. Der Standard, 10.11.2021, https://www.derstandard.de/story/2000131029289/chinas-staatschef-xi-baut-mit-nachdruck-am-eigenen-vermaechtnis, gesichtet am 25.11.2022.

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