· 

Sitzt bald das Wasserschloss Schweiz auf dem Trockenen?

Eine Einschätzung

Die Schweiz wird seit jeher das Wasserschloss Europas genannt, ungeachtet davon, dass Wallis, Tessin und Graubünden historisch betrachtet unter punktuellem Wassermangel leiden. 

Neulich,  vor dem Winter 2022/23, als der Krieg in der Ukraine tobte, machte die Angst vor krisenbedingten Stromknappheit die Runde. Und als das nicht genug wäre, war der Winter 2022/23 der trockenste der je gemessen wurde. 

Abgesehen davon, dass die Schweiz 60 % ihres Strombedarfs aus der Wasserkraft zieht, bedeutet Wasserknappheit automatisch auch Stromknappheit - und vieles mehr. Folglich liegt die Frage auf der Hand,  ob  das blaue Gold, worüber die Schweiz bekanntlich im Überschuss verfügen soll, plötzlich zu Neige geht. Und wenn ja, wie diesem Manko begegnet werden soll.

Dieser Frage ist das National Center for Climate Services (NCCS), das trotz des englischen Namens ein Schweizer Institut ist, welches dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) unterstellt ist, nachgegangen. Herausgekommen ist die Studie „Hydrologische Grundlagen zum Klimawandel Hydro-CH2018“ - kurz Hydro-CH2018, deren Ergebnisse ich anschliessend kurz präsentieren werde.

Doch so eindrücklich sie auch erscheinen mögen, nicht alle Veränderungen oder Verwerfungen lassen sich allein auf den Klimawandel zurückführen. Krisen und Kriege tragen auch dazu bei. Deshalb muss die Studie vom NCCS geopolitisch erweitert werden, um zu begreifen, was Wasserknappheit weltweit und lokal bedeuten kann.  

Ich fange mit einer  geopolitischen Erfassung der Lage zur Wasserknappheit an,  präsentiere dann die Ergebnisse der oben erwähnten Studie und formuliere am Ende einige Schlussfolgerungen für die Berggebiete.

 

Der Zugang zu Wasser: eine zunehmende geopolitische Herausforderung

Wenn in diesem Text von Wasser die Rede ist, ist immer „Süsswasser“ gemeint.

 

Der Zugang zu Wasser ist seit der Mitte des letzten Jahrhunderts eine globale geopolitische Herausforderung geworden. Geopolitisch, weil Wassermangel, ob zeitlich oder geografisch begrenzt, ein nicht zu unterschätzendes Konfliktpotenzial in sich birgt. 

 

Bis vor Kurzem wurde das Problem mehrheitlich in den Entwicklungsländern geortet und in den Industrieländern kaum wahrgenommen. Als Ursache für die Wasserknappheit galt das unkontrollierte Bevölkerungswachstum und fehlende Technologie. Mit der Wahrnehmung des akuten Klimawandels stellt man fest, dass das Problem auch die industrialisierten Länder erreicht hat. Litten schon seit jeher manche europäische Ländern wie Griechenland, Spanien oder Italien unter punktuellem Wassermangel, so erreicht die Wasserknappheit heute auch west- und osteuropäische Länder wie Belgien, die Tschechei oder Polen. 

 

Das ist auch der Fall in der Schweiz, wo das Wallis und die inneren Bündner Alpen seit je unter Wassermangel leiden. Ursache ist hier allerdings historisch fehlender Niederschlag, der sich am Nordhang der Alpen meist entlädt und die inneren Alpen meistens auslässt. 

 

Bevölkerungswachstum in den Entwicklungsländern und der Klimawandel sind demzufolge zwei der bekanntesten Gründe, weshalb der Zugang zu Wasser eine geopolitische Herausforderung darstellt. Anfügen kann man noch folgende Argumente, welche die bereits angespannte geopolitische Lage noch zusätzlich verschärfen:  

 

  • Kein Ersatz für Wasser: Das Wasser ist nicht ersetzbar. Man kann zwar Erdöl mit Kohle ersetzen, Kohle mit Strom, aber das Wasser kann mit keinem anderen Element ersetzt werden. Folglich müsste es geschützt und rationiert werden - auf welcher geografischen Ebene auch immer. 
  • Ungleichmässige Verteilung des Wassers auf der Erde: Das auf der Erde vorhandene Volumen an Süsswasser beträgt 40’000 km3, was auf die Weltbevölkerung verteilt etwa 5700 m3/Einw./Jahr ausmacht. Das wäre im Grunde genug, um die Weltbevölkerung und die bestehenden Ökosysteme zu versorgen. Dennoch haben 600 Mio. Menschen weltweit keinen Zugang zu Trinkwasser und 1,2 Mrd. Menschen sind fern von jeglicher Abwasserentsorgung bzw.  jeglichem Wasseraufbereitungssystem. (1)
  • Steigender Verbrauch: Wo es vorhanden ist, gerät das Wasser aufgrund des steigenden Verbrauchs unter Druck, sei es wegen der Nachfrage der Haushalte, der Industrie (Stromerzeugung aus der Wasserkraft) oder der Landwirtschaft (Bewässerung, Grossviehhaltung). 
  • Zunehmende Bedrohungslage: Die Errichtung von grösseren Staudämmen, das Verschwinden von Feuchtgebieten, die Ausbeutung von Wasserspeichern, die städtische und landwirtschaftliche Verschmutzung, die natürlichen Katastrophen führen dazu, dass die Ressource Wasser in Menge und Qualität weltweit bedroht ist.  
  • Steigender Preis: Wenn ein Gut knapp wird und die Nachfrage danach steigt, steigt in der Regel der Preis des begehrten Gutes. Das ist elementare Wirtschaftslehre. Doch aktuell aus der Sicht vieler Ökonomen ist der Preis des Wassers zu niedrig, weshalb es auch vielerorts verschwendet wird, da die Aufbereitungskosten für das Wasser (also die externen Kosten) nicht im Preis enthalten sind. Will man die Ressourcen schützen, empfehlen die Ökonomen den vollen Preis unter Berücksichtigung der externen Kosten zu verlangen. Diese Methode wird in den Industriestaaten bereits angewendet, in den Entwicklungsländern ist sie allerdings kaum denkbar, denn sie würde zu grösseren sozialen Unruhen führen mit möglichen geopolitischen Auswirkungen. 
  • Einführung einer globalen bzw. regionalen „Water-Governance“: Die möglichen geopolitischen Auswirkungen von regionalem Wassermangel haben ab den 1990er Jahren angefangen, den Zugang zu  Wasser auf globaler Ebene zu regeln; dafür machen sich unter anderem die UNO bzw. die Food and Agriculture Organization (FAO) stark. Als Grösseneinheit für den Schutz, die Kontrolle und die Verteilung von Wasser gilt das Einzugsgebiet eines Stroms.  Die Schweiz, als Wasserschloss Europas, kontrolliert seit Jahrzehnten den Wasserabfluss auf seinem Territorium nicht mehr. Sie hat internationale Verträgen abgeschlossen, die sie zur Kooperation mit den Anrainerländern am Unterlauf aller in der Schweiz entspringenden Ströme (Rhein, Rhône und Inn) zwingen. Die einzige Kontrolle, welche die Schweiz auf ihre Wasserressourcen ausüben kann, beschränkt sich auf das Grundwasser und die künstlichen Seen. Weil die Schweiz am Oberlauf dieser Ströme liegt, trägt sie zusätzlich die Verantwortung, den Abfluss ungehindert und ökologisch sauber zu halten. 
  • Der Zugang zu Wasser führt zu Rivalität: Wasser ist Leben. Ohne Wasser kein Leben. Die Geopolitik erinnert daran, dass im französischen Begriff „riverain“, also „Anrainer“, das Wort „Rivale“ steckt. Das will nicht heissen, dass jeder Konflikt um die Ressource Wasser gewaltsam ausgetragen werden muss, wie die Statik über Wasserkriege bestätigt. Dennoch deuten die Rahmenbedingungen auf eine Verschärfung des Konfliktpotenzials.  

Bevor wir uns den Folgen des Klimawandels auf die Wasserressourcen der Schweiz widmen, möchte ich die Fakten in Erinnerung rufen, weshalb die Schweiz als Wasserschloss Europa gilt. 

 

Die Schweiz als Wasserschloss Europas: Die Gründe

Die Schweiz ist für ihren Wasserreichtum bekannt: 6 % der Süsswasservorräte Europas lagern in der Schweiz, obwohl der Flächenanteil nur 0,4 % entspricht. Zwei der grössten Flüsse des Kontinents, Rhein und Rhône, entspringen im zentralen Gotthardmassiv. In der Schweiz ist das durchschnittliche jährliche Wasserangebot in Form von Niederschlägen (1440 mm) fast doppelt so gross wie das europäische Mittel (770 mm). Der grösste Flächenanteil der Schweiz (67 %) entwässert über den Rhein in die Nordsee. Deutlich kleiner sind die Einzugsgebiete der Gewässer, die in das Mittelmeer (Rhône, 18 %), in die Adria (Po, 9,3 %) und in das Schwarze Meer (Donau, 4,4 %) abfliessen. (2)

 

Verglichen mit anderen Ländern jedoch, rückt die Schweiz von ihrer Stellung als Wasserschloss etwas ab, obwohl man selten davon spricht. Von 182 Ländern liegt die Schweiz auf Rang 69. Nimmt man Europa im weitesten Sinn als Bezugsgrösse, also insgesamt 44 Staaten, stellt man fest, dass die Wasservorräte der Schweiz eher mittelmässig ausfallen, wie folgende Tabelle zeigt.  

 

Tabelle 1: Liste der europäische Länder nach Wasserressourcen in m3/Kopf

 

2'947
Weltrang Land m3/Kopf Weltrang Land m3/Kopf
1 Grönland 10'662'187 86  Türkei   
2 Island  519'264 87 Bulgarien  2'907
10 Norwegen 74'359 91 Nordmazedonien 2'599
21 Russland  29'982 96 Spanien  2'392 
34 Finnland  19'592  97 Armenien  2'360 
39 Schweden 17'636 98 Slowakei  2'325
40 Georgien  15'597  101 Vereinigtes Königreich 2'244
46 Irland  10'520  103 Rumänien 2'219 
48 Bosnien-Hezergovina  9'955 109 Luxemburg  1'798
49 Estland  9'669  118 Polen  1'410 
50 Albanien  9'311 119 Deutschland  1'321
52 Slowenien  9'054 123 Tschechien  1'249
53 Kroatien  8'895 125 Ukraine  1'217
55 Lettland  8'496  126 Serbien  1'179
64 Österreich 6'435 131 Belgien  1'071
66 Griechenland  5'324 132 Dänemark  1'063
67 Litauen  5'272 146 Zypern  677 
69 Schweiz  4'934 149 Niederlande  652
71 Andorra 3'984 150 Ungarn  608
76 Portugal  3'653 154 Moldau  456
77 Belarus  3'589 168  Malta  116 
84 Frankreich  3'015      
85 Italien  3'002      

Quelle: Wikipedia, World Bank, https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Länder_nach_Wasserressourcen. 

 

Die Lage der Schweiz ist in Punkto Wasservorräte also nicht bedrohlich oder gefährdet, aber ihre Stellung als Wasserschloss Europas sollte relativiert werden. Zumal der Klimawandel künftig einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss haben soll. 

 

Nun widmen wir uns der Hydrologie der Schweiz und deren Entwicklung unter dem Einfluss des Klimawandels.

 

Auswirkungen des Klimawandels auf den Wasserfluss

Die Hydrologie ist ein hochkomplexes Gebiet. Deshalb werde ich mich auf einige wenige basische Grundsätze beschränken, um die Lage begreiflich zu machen. 

 

Wichtig ist die Erkenntnis, dass das Wasser Bestandteil eines globalen Kreislaufes ist: Aus Wolken fällt das Wasser als Regen oder Schnee zur Erde, versinkt in den Boden und ins Grundwasser oder verdunstet als Wasserdampf, entspringt aus Quellen, fliesst in Bächen, Flüssen und Seen und gelangt schliesslich ins Meer, wo es erneut in die Atmosphäre als Wolken aufsteigt. 

 

Dieser Kreislauf ist in der Gleichung Q = N - V + dS/dt ersichtlich, wobei Q = Wasserabfluss aus der Schweiz, N = Niederschlag, V = Verdunstung, dS = Speicheränderung (jeweils in mm/Jahr) und dt = Zeiteinheit bedeuten.

 

Für die Referenzperiode 1980-2010 ergibt die Studie Hydro-CH2018 folgende Gleichung: 

 

990 = 1440 - 460 + 10. Der Kreislauf ist bestätigt. (3)

 

Der Klimawandel wirkt sich jedoch auf alle Grössen des Wasserhaushalts aus. Nach gewonnenen Erkenntnissen soll die Verdunstung zunehmen, während der Wasserfluss aufgrund von mangelnder Schnee- und Eisschmelze abnehmen soll. Für die ferne Zukunft (2070-2099) wurde vom Worst-Case-Szenario ausgegangen, nämlich, dass bis Ende des 21. Jh. keine Klimachutzmassnahmen ergriffen werden würden, sodass die Klimaerwärmung über die 2°C-Marke steigen würde. was zu folgenden Prognosen führt:  

 

Tabelle 2: Auswirkungen des Klimawandels auf den Wasserhaushalt in mm/Jahr

 

Wasseraushaltsgrösse Winter Frühling Sommer Herbst Jahr 
Gletscherschmelze 0 0 -5 -2 -7
Schneeschmelze* -15 -54 -76 -20 -165
Niederschlag  37 21 -70 -18 -30
Verdunstung  16 25 2 6 49
Abfluss aus der Schweiz 59 10 -116 -38 -85
           

* Als Teil des Niederschlags

 

Quelle: BAFU, Auswirkungen des Klimawandels auf die Schweizer Gewässer

 

Berücksichtigt man diese prognostizierten Änderungen der Wasserhaushaltsgrössen ergibt sich folgende Gleichung: 

 

905 = 1410 - 509 + 4, wobei der Wasserkreislauf +/1 bestätigt ist. 

 

Es liegt nicht im meiner Kompetenz, die vom NCCS prognostizierten  Entwicklung zu bestätigen oder zu widerlegen. Ich kann nur feststellen, dass der Wasserfluss bis Ende des 21. Jh, ohne Klimaschutz, sich um ca. 8,5 % verringern soll. Wenn diese Prognose sich bestätigt, wird sie wohl nicht ohne Konsequenzen für den künftigen Wasserverbrauch bleiben. 

 

Manche würden entgegen, die Schweiz bezieht den grössten Teil seines Wasserverbrauchs aus dem Grundwasser, das als strategische Reserve betrachtet wird und der Schweiz folglich eine nicht zu unterschätzende Handlungsfreiheit gewährt. Ist dem wirklich so? 

 

Auswirkungen des Klimawandels auf die wichtigen Wasserspeicher

Auf dem Schweizer Territorium sind verschiedene Wasserspeicher vorhanden, wie in der folgenden Tabelle dargestellt. 

 

Tabelle 3: Wichtige Wasserspeicher in der Schweiz 

 

-
Wasserspeicher Gesamtvolumen km3 Nachhaltig nutzbares Angebot km3/Jahr
 Schnee 22  
Gletscher  53 -
Natürliche Seen 130 2
Künstliche Seen (Reservoire) 3,5 3,5
Grundwasser 150 18
Total  358,5 23,5
     

Quelle: BAFU, Auswirkungen des Klimawandels auf die Schweizer Gewässer

 

Wir stellen fest, dass das nachhaltig nutzbare Angebot im km3/Jahr keine 7 % des verfügbaren Gesamtvolumens ausmacht.  Denn Experten gehen davon aus, dass die Regenerationsfähigkeit der Wasserspeicher unter der 10%-Marke liegt. Die Marge von +/- 3 % ist also nicht riesig. Schauen wir uns, wie gross die Nutzbarkeit in jedem einzelnen Fall aussieht. 

 

Natürliche und künstliche Seen

Wie der Klimawandel sich auf Wasserstände und Abflüsse auswirkt, hängt davon ab, ob ein See reguliert ist und wie ein künstlicher See gesteuert wird. 

 

Bei den natürlichen Seen ist nur ein geringer Teil nachhaltig nutzbar, da ein Mindestwasserstand nicht unterschritten werden darf. Bei allen Seen müssen auch Mindestabflüsse in das unterliegende Gewässer beachtet werden. 

 

Bei künstlichen Seen ist fast die gesamte Speicherkapazität auch tatsächlich nutzbar, heute jedoch in der Regel für die Wasserkraftproduktion reserviert. 

 

Was sind die Folgende vom Klimawandel ohne Klimaschutz? 

 

Sommerwasserknappheit ist vor allem im Mittelland und nur bedingt in alpinen Regionen zu erwarten. Die künstlichen Seen liegen vor allem in den Alpen, weit entfernt von den Gebieten mit potenziellem Wassermangel. Deshalb  ist der mögliche Beitrag alpiner Stauseen zur Verringerung von Sommerwasserknappheit im Mittelland eher gering. Ein grösseres Potenzial hätten lokale Speicher für welche jedoch im Mittelland in der Regel der Platz fehlt. (4)

 

Eine „gute“ Nachricht besteht darin, dass durch das Abschmelzen der Gletscher in den Alpen neue Seen, Bäche und Auenlandschaften entstehen. Forschende der Universität Zürich schätzen, dass bis zu 500 Seen mit einer Fläche von 50km2 und einem Volumen von 2 km3 entstehen könnten. Die kleineren Seen werden aber relativ schnell wieder verlanden. Einige der neuen Seen und ehemaligen Gletschertäler könnten,  wenn nötig, durch den Bau von Staumauern als Reservoire genutzt werden. Bei diesen neu entstehenden hochalpinen Seen und Landschaften müssen allerdings noch grundsätzliche Fragen zu Schutz und Nutzung gesellschaftlich beantwortet werden. (5)

 

 

Grundwasser

Die Schweiz verfügt über sehr grosse Grundwasservorkommen, die jedoch räumlich ungleich verteilt sind. Deshalb kommt es bei Trockenheit bereits heute lokal und zeitlich vermehrt zu Engpässen bei der Verfügbarkeit von Grundwasser. Diese Tendenz wird durch den Klimawandel zunehmen.

 

Grundwasser ist der wichtigste und grösste Wasserspeicher in der Schweiz. Dabei wird zwischen Grundwasser in Lockergestein, in Klüften des Festgesteins und im Karst unterschieden. Sein Gesamtvolumen wird auf 150 km3 geschätzt, wobei die Grundwasservorkommen unterschiedlich ergiebig sind. Mit rund 120 km3 fällt der grösste Anteil auf Karst, 20 km3 auf Klüfte in Festgestein und 10 km3 auf Lockergesteins-Grundwasserleiter. Nachhaltig nutzbar sind schweizweit ca. 18 km3 pro Jahr, ein grosser Teil davon stammt aus den sehr ergiebigen Lockergesteins-Grundwasserleitern der Flusstäler. (6)

 

Entgegen einer landläufiger Meinung sind die grössten Wasservorräte nicht die ergiebigsten und diese liegen nicht im alpinen Gebiet, sondern im Jura und in den Voralpen (Locker- und Felsgesteinen) sowie in den Seengebieten im Unterland, wie die Karte auf der Frontpage zeigt. Die Gebirgskantone Wallis, Tessin und Graubünden mit Ausnahme des Rhonetals bzw. der Magadino-Ebene bzw. der Oberengadiner Seen sind an Grundwasser wenig ergiebig, was sich indirekt auch in der verhältnismässig geringeren Bevölkerungszahl widerspiegelt. 

 

Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf die Grundwasserressourcen im alpinen Gebiet? Die Hydro-CH2018 hat 3 Auswirkungen identifiziert: 

 

  1. Alpine Grundwasserspeicher in Lockergestein und Festgestein reagieren unterschiedlich auf den Klimawandel. Im Lockergestein ändert sich vor allem die saisonale Dynamik, über das Jahr gesehen bleibt die Menge jedoch gleich. Im Unterschied zu Standorten im Mittelland nimmt die saisonale Grundwasserdynamik in den alpinen Lockergesteinen ab. 
  2. Im alpinen Festgestein können auch langfristig abnehmende Trends in der gespeicherten Grundwassermenge auftreten.
  3. Trotz der früheren Schneeschmelze und der höheren Evapotranspiration im Sommer bleibt die gespeicherte Grundwassermenge und die Abflussrate in alpinen Gebieten im Sommer bedeutend höher als im Winter. Ausgedehnte Lockergesteinablagerungen haben eine ausgleichende Wirkung auf den Abfluss, da sie saisonal grössere Menge an Grundwasser speichern und wieder freisetzen können. (7)

 

 

Schlussfolgerungen für die alpinen Gebiete

Auf dem Trockenen wird das Wasserschloss Schweiz, zumindest bis zum absehbaren Ende des 21. Jh., nicht sitzen. Doch so bequem ist die Lage der Schweiz nicht mehr, wie sie einst war. Das ist die wichtigste Erkenntnis.

 

Wie erwähnt liegt es nicht in meiner Kompetenz, die oben erwähnten Prognosen zu bestätigen oder zu widerlegen. Ich kann nur auf die Konsequenzen aufmerksam machen, falls die Prognosen sich bestätigen. 

 

Die Prognosen von Hydro-CH2018 basieren auf das Worst-Case-Szenario, wonach keine Klimaschutzmassnahmen ergriffen werden würden,  um die Klimaerwärmung bis Ende des 21. Jh. unter 2°C zu halten, was sehr pessimistisch erscheinen mag. Gleichzeitig aber sollte man die demografische Entwicklung der Schweiz, die im starken Wachsen begriffen ist, nicht ausser Acht lassen. Das demografische Element wird im Bericht nicht erwähnt, dürfte aber den Druck auf das Wasser zusätzlich erhöhen bzw. die Entwicklung der Schweiz in die eine oder andere Richtung prägen. Das ist die zweite Erkenntnis. 

 

So führt Wassermangel, und zwar im absoluten wie im relativen Sinne dazu, dass ganze Teile des täglichen Lebens betroffen sein könnten und eine Kettenreaktion bilden. Wassermangel bedeutet Minderung der Funktionskapazitäten der Industrie, der Landwirtschaft, des Tourismus, der Energiegewinnung, aber auch der Kläranlagen. Nicht zu sprechen von den gesundheitlichen Konsequenzen. Dieser Prozess wiederum spiegelt sich in den Preisen der Produkte und Güter wider. Irgendwann wird die Politik unter dem Druck von aussen eingreifen und die Produktion bzw. Nachfrage nach Wasser regulieren müssen.

 

Die Studie Hydro-CH2018 schlussfolgert: 

„Der Gewässerschutz, die Wassernutzung, der Hochwasserschutz, aber auch die Landwirtschaft müssen sich auf die neuen hydrologischen Bedingungen mit veränderter Verfügbarkeit von Wasser einstellen. Es bestehen jedoch grosse Unterschiede im Ausmass der Veränderungen, je nachdem, ob sich das künftige Klima gemäss einem Szenario mit oder ohne globale Klimaschutzmassnahmen entwickelt.“ (8) Das ist die dritte Erkenntnis. 

 

Vor dem Winter 2022/23, als die Stromversorgungslage der Schweiz aufgrund saisonaler Bedingungen aber auch wegen des Kriegs in der Ukraine als problematisch eingestuft wurde, stellte man überrascht fest, dass unsere Bundesbehörden keine alle Kantone umfassenden Daten über den Stromverbrauch hatten. Irrtum und Unterlassung vorbehalten stelle ich dasselbe für den Wasserverbrauch fest.  

 

Da rund 75 % der Schweizer Bevölkerung in den grossen Agglomerationen des Mittellandes lebt, ist die Wassernutzung und der -verbrauch in absoluten Zahlen entsprechend höher als im Berggebiet. Folglich, wenn die oben erwähnten Prognosen annähernd zuverlässig sind, wird sich die Wasserknappheit im Normalfall eher und verstärkt im Unterland als in den Berggebieten manifestieren. Das ist die vierte Erkenntnis. So hat ein strengeres Wassermanagement im Unterland grösste Priorität. Das bedeutet, dass Trink- vom Brauchwasser getrennt werden und dass der Luxus, mit Trinkwasser WC zu spülen und zu duschen der Vergangenheit angehören müssten.

 

In den Berggebieten ist eine ähnliche Entwicklung auch denkbar, insbesondere in den grossen Feriendestinationen. Dort kann ich mir Wasserkonflikte in der Hochsaison vorstellen, wenn die Bergbevölkerung um ein Vielfaches ansteigt und die Niederschläge, wie in diesem Winter, auf längere Zeit ausbleiben sollten. In solchen Phasen könnte sich der Konflikt um die Frage kristallisieren, ob das verfügbare Wasser für Haushaltszwecke oder für den Tourismus bzw. für Beschneiungen einzusetzen ist. 

 

Ein anderer Konfliktherd, der sich abzeichnet, ist der Druck auf die Gebirgskantone, ihren Beitrag zur Energieversorgung der Schweiz massiv zu erhöhen, sei es bei der Herstellung von künstlichen Seen oder bei der Errichtungen von umfangreichen Photovoltaik- und Windkraftanlagen. Hier dürften knallharte Wirtschaftsinteressen auf ökologische bzw. touristische Bedenken prallen.  

 

Konflikte mit den Ländern am Unterlauf der Flüsse könnten sich auch vermehren wie am Beispiel des Konflikts im letzten Sommer zwischen der Schweiz und Norditalien, das eine Senkung des Wasserpegels des Lago Maggiore forderte, zu sehen ist.  

 

Virginia Bischof Knutti@25.04.202

 

Quellen:

Karte Frontpage: Bundesamt für Umwelt (BAFU), https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/wasser/fachinformationen/zustand-der-gewaesser/zustand-des-grundwassers/grundwasservorkommen.html.

  1. Blanchon David, Atlas mondial de l’eau - Défendre est partager notre bien commun, Editions Autrement, 3e édition, Paris, 2017, S. 66.
  2. Bundesamt für Umwelt (BAFU), Wasser: internationales, https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/wasser/fachinformationen/internationaler-gewaesserschutz.html, gesichtet am 16.04.2023.
  3. Bundesamt für Umwelt (BAFU), Auswirkungen des Klimawandels auf die Schweizer Gewässer  Hydrologie, Gewässerökologie und Wasserwirtschaft, Bern, 2021, S. 20-21.
  4. Dito, S. 45.
  5. Dito, S. 44-45.
  6. Dito, S. 47.
  7. Dito, S. 50.
  8. Dito, S. 115.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0