Der Kanton Graubünden - Eine geopolitische Analyse

Zusammenfassung

Warum Geopolitik?

Geopolitik ist im Schweizer deutschsprachigen Raum nicht sonderlich bekannt und wahrscheinlich auch nicht sonderlich beliebt. Wirtschaftliche Studien sind hingegen mehr denn je gefragt, obwohl wir im Voraus schon wissen, wie sie ausfallen: Alles wird dem Gesetz der Anzahl und der Rentabilität untergeordnet. Für die Bedürfnisse einzelner Regionen und Bevölkerungsteile, sei es aufgrund ihrer geografischen Umgebung, Kultur oder Sprache, haben sie wenig übrig. Dass Wirtschaftsanalysen den geografischen Gegebenheiten des Kantons Graubünden ungenügend Rechnung tragen, wird gelegentlich wohl zur Kenntnis genommen, doch die Erkenntnisse werden kaum in Taten umgesetzt. Fehlt es an strategischem Handeln der politischen Akteure oder haben wir in diesem Land wirklich nur noch wirtschaftliche Interessen?

 

Gegenstand der Analyse

Gegenstand der geopolitischen Analyse sind dauerhafte geografische Gegebenheiten wie die Grösse des Territoriums, der Einschluss, die Berge oder die Alpenpässe. Sie haben eine Langzeitwirkung auf die Bevölkerung, die sich auch in den Identitätsmerkmalen niederschlägt. Untersucht wird als Hauptidentitätsfaktor Graubündens die sprachliche Vielfalt, aber auch seine Geschichte und seine demographische Entwicklung. 

Andere geografische Gegebenheiten haben erst mit der Industrialisierung in den Kanton Graubünden Einzug gehalten. Obwohl sie eine kurzfristigere Wirkung auf die Menschen haben, sind sie nicht weniger prägend. So die Raumgliederung des Kantons, die Auseinandersetzung zwischen Zentrum und Peripherie und die Verkehrspolitik am Beispiel der Eisenbahn. 

Der Zugang zu den (natürlichen) Ressourcen ist seit jeher eine Frage des Überlebens. Untersucht werden die Finanzressourcen, die Natur als Ressource der Tourismusindustrie und das Wasser als Stromlieferant. Dabei steht die Frage im Hintergrund, inwiefern der Kanton Graubünden von diesen Ressourcen abhängig ist bzw. inwiefern er sie noch überhaupt kontrollieren kann.                                                                     

Schliesslich wird die geopolitische Analyse räumlich erweitert, indem die Entwicklung der Europäischen Union, die globale Klimaerwärmung und deren Auswirkungen auf Graubünden thematisiert werden. 

Insgesamt werden zehn geopolitische Themen analysiert. Daraus ergeben sich zehn Erkenntnisse. Aus den Erkenntnissen lässt sich der Handlungsbedarf ableiten.

 

Zehn Erkenntnisse

Viele Erkenntnisse bestätigen einen Zustand, der seit Jahrzehnten - wenn nicht Jahrhunderte - herrscht wie zum Beispiel die Dualität Zentrum-Peripherie zwischen der Zürcher Agglomeration und Graubünden, die Aufgabe der romanischen Sprache oder auch die geografische Isolation der Südtäler aufgrund mangelnder verkehrstechnischer Erschliessung. Andere Erkenntnisse hingegen deuten auf mögliche, künftige geopolitische Umwälzungen. Es sind zum Beispiel die schwache Demografie oder auch die Abhängigkeit von einigen wirtschaftlichen Branchen wie der Wasserbewirtschaftung oder dem Wintertourismus. 

Die Geopolitik liefert eine umfassende Denkweise und nachvollziehbare Argumente, um den herrschenden Zuständen auf den Grund zu gehen. Sie hilft auch, den Zeitgeist zu erkennen und das Bewusstsein für Veränderungen zu wecken und mutige Visionen umzusetzen. In diesem Sinne würde die Gründung einer eigenen kantonalen Universität mit den romanischen Sprachen als Kernfach die Vision eines Graubündens verkörpern, welches die Dreisprachigkeit als strategischen Vorteil erkennt, sie komplexlos vorlebt und darin investiert. Zusätzliche zukunftsorientierte Fächer sollten auch dem Kanton einen neuen wirtschaftlichen Input verleihen und die Bündner Jugend vom Abwandern abbringen. Auch die Realisierung eines Eisenbahn-Konzepts mit der doppelten Absicht, das Engadin und die Südtäler an Chur näher zu bringen und ins europäische Eisenbahnnetz zu integrieren,  gehört zu dieser visionären Kategorie. 

 

Virginia Bischof Knutti©15.01.2020